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Finale im Fohlenzimmer

Das konnte kein Zufall sein. Ausgerechnet am Wochenende des Bundesliga-Saisonfinales kamen meine Eltern aus dem Schwabenland nach Berlin zu Besuch. Es bedurfte nicht allzu großer Überredungskunst, meinen Vater am Entscheidungstag in eine Fankneipe zu bewegen. Meine Mutter hatte zum Zeichen des teilnahmslosen Einverständnisses den Daumen hochgereckt und auch von meiner Angebeteten kam kein Einwand gegen den vorgezogenen Herrentag.

Der Herr Papa zeigte sich an der obligatorischen Reichstag-Brandenburger-Tor-Unter-den-Linden-Tour ohnehin nicht sonderlich interessiert. Außerdem kann er schon auf eine stattliche Reihe von Kneipengängen mit seinem Sohn zurückblicken, die sich meist recht vergnüglich gestaltet hatten. Diese Serie sollte sich nun in Berlin fortsetzen – bei kühlem Bier und leidenschaftlichem Fußball.

Wir kehrten aber nicht, wie man vielleicht vermuten mag, in das HSV-Lokal nahe der Schönhauser Allee ein. Es verschlug uns an einen Ort, wo mehr Spannung zu erwarten war: das Hops & Barley im Friedrichshain, eine Gladbach-Kneipe. Hier ging es um den nackten Existenzkampf, den Verbleib in der 1. Liga, wohingegen Hamburg nur um einen Platz im trüben Mittelfeld der Tabelle spielte. Einmal mehr begab ich mich auf fremdes Terrain. Nach meinen Ausflügen in das FC Köln Klubheim war nun die Höhle der Fohlen an der Reihe.

Die Räumlichkeit schien wie für meinen Vater, einen ehemaligen Borussen-Fan, hergerichtet. An den Wänden waren liebevoll schwarz-weiß-grüne Fahnen und Tücher drapiert. Vor die Leinwand hatte man Mini-Bierbänke und ausgemusterte Sofas gruppiert. Das relativ kleine Vereinsheim machte – im Gegensatz zu der rauen, stickigen Geißbockhöhle – mehr den Eindruck eines gemütlichen Hinterzimmers, perfekt also für einen gesetzten Mann jenseits der 40.

Die deutsche Heimeligkeit wurde optisch zwar durch die Hohe Tatoo-Dichte gestört, mit Hautmalereien wird man wohl auch diesen Sommer in den hippen Bezirken Berlins bombadiert. Aber die Kneipe steht schließlich dafür, dass sie kein Bier für Nazis ausschenkt.

Das selbstgebraute, leckere Gerstengetränk floss also in politisch korrekter Atmosphäre wie Balsam die Kehlen hinunter. Mein Vater genoss das Dunkle, ich genehmigte mir das Helle und langsam verspürte ich ein Gefühl zunehmender Zufriedenheit. Die Welt war im Grunde ganz in Ordnung, obwohl sich die Saison für den HSV als eine einzige Katastrophe herausgestellt hatte. Auch am letzten Spieltag brachte mein Verein nichts Vernünftiges zustande, aber weshalb hätte es auch eine Wende geben sollen?

Die aktuellen Gladbach-Stars spielten in der ersten Hälfte die Hamburger schwindlig. Marco Reus dribbelte und Dante wuchtete die Bälle aus der Abwehr. Doch mein Vater schwelgte in der Erinnerung an die 70er Jahre. Die Bökelberg-Legenden Allan Simonsen und Horst Köppel, den sie in seiner Stuttgart Zeit nur „’s Horschtle“ nannten, hatten es ihm besonders angetan. Die Verkaufspolitik von Präsident Helmut Grashoff in den 80er Jahren habe den Verein jedoch kaputt gemacht und ihm den Spaß am VfL vergällt.

Da waren wir wieder beim Lieblingsthema meines Vaters angekommen: Baden-Württemberg. Es gab wohl niemanden im Hops & Barley, der baden-württembergischer war als er. Im Gespräch mit einem Borussen-Fan wurde er gefragt, für welchen Verein denn sein Herz schlage. Endlich hatte er die Gelegenheit, sich zu dem Land im Südwesten zu bekennen. In der ersten Liga unterstütze er Stuttgart, Hoffenheim und Freiburg – Hauptsache die Mannschaft komme aus dem Ländle. Aber eigentlich sei er Anhänger des Karlsruher SC. Diese Antwort brachte seinen Gesprächspartner zum Schmunzeln. Es sei praktisch, viele Klubs zu unterstützen, sagte er – denn einer gewinnt ja immer.

Mit seinem Faible für den KSC überwindet er sogar ideologische Grenzen in der Spätzle-Region. Eigentlich ist es nämlich undenkbar, dass ein Württemberger einen Badener – oder „Gelbfüßler“ – unterstützt, umgekehrt verhält es sich genauso. Man wünscht dem „Schwabenseckel“ nichts Gutes und pflegt lieber eine Rivalität, die mit Hohn und Spott für den Gegenüber gewürzt ist.

Solche Animositäten sind meinem Vater fremd. Neben der gezeigten Partie interessierte er sich ganz besonders für ein Spiel, in dem es nach dem Sieg von Leverkusen nur noch um die goldene Maultasche ging. Trotzdem wollte der Lokalpatriot in Person unbedingt, dass der VfB Stuttgart gegen die Bayern gewinnt – ein Wunsch, der sich nicht erfüllen sollte. Im Gegensatz dazu hatten die Gladbacher nur noch Ohren für die Zwischenstände der direkten Konkurrenten Frankfurt und Wolfsburg. Am Ende wurde alles Hoffen und Bangen zur Häfte erfüllt. Der Traditionsklub stieg zwar nicht ab, muss aber gegen den VfL Bochum in die Relegation. Auf Borussen-Seite zeigte man sich mit diesem Ausgang eher zufrieden.

Das Spiel bildete übrigens in Kurzversion die gesamte HSV-Saison ab. Die erste Halbzeit hatten die Hanseaten einfach verschlafen und wurden von aggressiv draufgehenden Gladbachern im eigenen Stadion in die Defensive gedrängt. Nach dem Seitenwechsel wachten die Hamburger langsam auf, verpassten es aber, den Gegner mit dem zweiten Tor zu besiegen. Unter dem Strich kam ein Unentschieden heraus, das unbefriedigend war. Es gab also kein versöhnliches Ende an der Elbe.

Zuhause zeigte ich stolz Handy-Fotos von der Fankneipe, auf denen meine bessere Hälfte eine überraschende Entdeckung machte: „Die Wand ist ja in derselben Farbe gestrichen wie unser Schlafzimmer.“
Da soll noch einer sagen, Fußball sei das Einzige, was zählt.

Ene meene muh, und raus bist du!

Nürnberg, wir kommen. Eure Bratwürste, Lebkuchen und Albrecht-Dürer-Bilder sind bereits mit Nadeln durchstochen. Auch ein Altar ist aufgebaut: Auf ihm befinden sich zahlreiche Utensilien, die die Fußballgötter gnädig stimmen und die bösen Geister vertreiben sollen: das Ticket des letzten HSV-Sieges in der Liga, ein Hühnerfuß mit schwarz-blau-weiß bemalten Krallen, die Richtung Hamburg zeigen und zu guter letzt die Asche der ominösen Papierkugel in einem Aschenbecher mit Vereinslogo.
Dieser Voodoo-Zauber mag für den aufgeklärten Europäer zwar verschroben wirken; mir kann er aber momentan nicht stark genug sein, um die Unglücksserie der Hanseaten zu beenden. Vertrauter mit diesen Praktiken ist man ja in Schwarzafrika, wie Thilo Thielke in einem Kapitel seines Buchs Traumfußball – Geschichten aus Afrika anschaulich beschreibt. Da wird das Spielfeld mancherorts durch Pinkelrituale oder mit Tinkturen von Eidotter und Kokosnussschalen präpariert. Besonderes Interesse gilt dabei natürlich dem Torraum. Einige Torhüter verlassen sich weniger auf die eigenen Fähigkeiten oder die ihrer Abwehrspieler. Deshalb „vernageln“ sie ihren Kasten durch verwunschene Torwarthandschuhe, die im Netz baumeln und zu „magic hands“ werden. Oder sie bestreichen Pfosten und Torlinie mit geheimen Pulvern, damit sich das Gehäuse zusammenzieht und verkleinert, wenn der Ball angeflattert kommt.

Auch in Deutschland gehört der Aberglaube zum Fußball. Hier erleichtern sich die Fans zwar nicht auf den Rasen, versuchen aber ebenfalls durch Pinkelrituale das Spiel zu beeinflussen, indem sie zum mannschaftsdienlichen Urinieren gehen. Denn bekanntlich fallen die Tore gerade dann, wenn man mal austreten ist.

Und die Fußballer? Manche betreten das Spielfeld immer nur mit dem rechten Fuß zuerst. Andere werden vor dem Spiel zum Mönch und verzichten auf Sex oder schicken kurz vor Anpfiff noch schnell ein Stoßgebet gen Himmel. Wieder andere rasieren sich während einer Siegesserie nicht, auch wenn sie dann wie der schrullige Zauberer Catweazle aus der gleichnamigen britischen Fernsehserie aussehen.

Mein persönlicher Aberglaube verbietet mir mittlerweile, zum Fußballgucken in meine HSV-Stammkneipe zu gehen. Denn immer wenn ich dort war, spielten die Hamburger so schlecht, dass ich kaum hinschauen konnte: das letzte Mal gegen Hannover. Auch die Bundesliga-Konferenz im Radio brachte mir kein Glück und bleibt deswegen in Zukunft stumm. Vom Debakel gegen Gladbach und den „Dante!“-Rufen des Kommentators habe ich immer noch ein schreckliches Ohrensausen. Gleiches gilt für den Live-Ticker im Internet, der sich für mich nach dem Bochum Spiel ausgetickert hat. Selbst der Videotext textet seit den Kuranyi-Festspielen und dem Dreizudrei gegen Schalke kein verdammtes Unentschieden mehr. Kneipen-TV, Radio, Internet und Videotext – das alles boykottiere ich, da sie schon sieben Spiele lang im Grunde nur eins aussenden: Unglücksbotschaften für den HSV.

Gut, wenn es den Hamburgern hilft, opfere ich mich und verfolge die Spiele nicht mehr live. Stattdessen widme ich mich in dieser Zeit irgendwelchen Ersatzhandlungen, die bloß nichts mit Fußball zu tun haben, wie Handtücher bügeln, Sellerieschnitzel braten oder mit dem Hund Gassi gehen. Ich achte dann auch pedantisch darauf, dass der Hund mit der rechten Vorderpfote zuerst den Hof betritt.

Und der HSV sollte vielleicht die abergläubische Atmosphäre im Fußball zukünftig mitberücksichtigen und naturreligiöse Riten in seine Spielphilosophie integrieren. Dann könnte schon in der nächsten Saison auf dem Mannschaftsfoto neben dem Leistungsdiagnostiker und dem Osteopathen auch ein Voodoo-Priester stehen.

Elf Zombies müsst ihr sein

Zu Halloween wollten meine Freundin und ich einen stimmungsvollen Gruselfilm anschauen. Unschlüssig standen wir vor den Regalen unserer Videothek und überlegten, ob wir „Braindead“ oder „Dawn of the Dead“, „Dead by dawn“ oder „Dead before dawn“, „Evil Dead“ oder doch lieber „Night of the living Dead“ nehmen sollten. Bei dieser Titelvielfalt fiel die Wahl natürlich schwer und außerdem hatte ich an diesem Tag für meinen Geschmack schon mehr als genug Horror hinter mir. Allein bei dem Gedanken daran lief es mir eiskalt den Rücken hinunter. Um mich abzulenken, durchforstete ich panisch die Regale nach Splatter-Klassikern, doch auch das half nichts.

„Mehr ham wa nich, nur was da steht“, blökte das Videotheksmädchen und schmatzte weiter an ihrem rosa Bubblegum. Meine Freundin hatte es unterdessen zu den Romantic Comedies verschlagen, während ich schon ein zweites Mal die ganzen Gruselreihe durch hatte. Mir wurde klar, dass es keinen Film geben konnte, der nur annähernd so schrecklich war, wie das, was ich nachmittags im Radio gehört und später in der Sportschau gesehen hatte:
Das Spiel HSV gegen Gladbach – für jeden Rautenfan ein knallharter Schocker, der gegen Ende sogar zum Tanz der Untoten mutierte. Jerome Boateng humpelte wie ein angeschossener Zombie über das Feld – ebenso wie der Rest der Hamburger Elf. Die Jungs keuchten über den Rasen und schlurften nur noch dem Gegner hinterher. Viel lebendiger spielten die Gladbacher. Ihr Verteidiger Dante preschte von hinten heran und schleuderte seinen Schädel gegen den Ball. Er hatte leichtes Spiel, denn die Abwehr der Hanseaten war wieder einmal kopflos – zweizuzwei. Später wurde es dann richtig gruselig: Der Fohlen-Joker Rob Friend zeigte seine Fratze – nicht Batman, sondern dem HSV – und zerschoss die Träume der Hamburger von der Tabellenführung.

Mittlerweile hatte ich mich in die Erwachsenenabteilung verlaufen. Und dort irgendwo zwischen Titten und Mösen grinste mich ein Voodoo-Priester vom Cover eines Zuckerhut-Pornos an. Es war kein geringerer als José Roberto da Silva Júnior – Zé Roberto! Schon wollte ich in Ehrfurcht niederknien, da flüsterte mir eine Stimme leise und zärtlich ins Ohr: „Was machst du denn in der Pornoabteilung?“

Auf einen Schlag war ich wieder in der Realität: Meine Freundin hatte mich gerade noch rechtzeitig vor den Untoten gerettet. Sie hielt mir ihren Filmvorschlag entgegen: „It’s alive“, ein Streifen über ein eifersüchtiges Monster-Baby, das alle auffrisst – nur nicht seine Mutter.
Heute kennen wir dieses Ungeheuer als Maik Franz, Knochenzertrümmerer von Eintracht Frankfurt. Fortsetzung folgt…


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