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Angst fressen Füße auf

Wer gedacht hat, der noble HSV sei sich zu fein für die schmutzige Bestie des Abstiegskampfs, muss sich seit dem Weggang von Michael Oenning wundern. Mit feuriger Leidenschaft bestritten die Hanseaten die Partien gegen Stuttgart und Schalke. Etwas sparsamer agierte man in Freiburg, dafür umso erfolgreicher. Man konnte drei Punkte aus dem Breisgau entführen, auch wenn sie kein Schleifchen umgebunden hatten.

Gegen Wolfsburg gingen die Rothosen wieder beflügelt zu Werke. Einmal mehr konnte der Traditionsklub in der zweiten Hälfte noch einen Gang höher schalten und das Remis erzwingen. Selbst ein Sieg wäre möglich und verdient gewesen.

Leider wurden Spielfreude und Angriffsdruck in den Reihen der Hamburger oftmals durch den Alten Affen Angst gebremst. Der hatte sich beim Spielaufbau und bei einigen Torabschlüssen an die Füße der HSV-Akteure geklammert, so dass die Stürmer Mladen Petric und Paolo Guerrero in einigen Situationen zu hektisch und zu überhastet den Abschluss suchten und gute Chancen vergaben.

Gegen das Zittern im Fuß hat Neutrainer Thorsten Fink sicherlich probate Gegenmittel. Humor wirkt zum Beispiel immer befreiend. Die Huckepack-Einlage von Fink, der nach dem Tor von Petric auf seinen Sportdirektor Frank Arnesen sprang und ihm später ein herzliches  Bussi auf die Wange drückte, zeigten schon deutlich die stimmungsvolle Atmosphäre, die der Westfale in Hamburg schaffen möchte. Niemand wird sich wundern, wenn beim nächsten Tor der Hanseaten die Trainerbank eine ordentliche Polonaise Blankenese startet oder den Ententanz aufführt.

Auch auf die leisen Töne versteht sich der Übungsleiter, auf den man an der Alster so große Hoffnungen setzt. Schon nach seinem ersten Spiel sei eine deutliche Verbesserung des Rautenklubs offensichtlich, flunkert er im Interview. Man sei einen ganzen Tabellenplatz nach oben  geklettert, was sicher an seiner Aura liege. In solchen Momenten kommt ihm sein Schweizer Hintergrund zugute. Die Eidgenossen gelten nicht gerade als Völkchen, das leicht in Panik und Übermut verfällt.

Ein Sketch des Schweizer Komikers Emil Steinberger aus den 80er Jahren illustriert diese behäbige Grundhaltung recht anschaulich. In einer Polizeistelle geht ein Anruf ein, vor einem Haus sei eine Bombe gefunden worden. Emil in der Rolle des Beamten meint, das sei ja eine Überraschung. Aber im Moment könne kein Polizist vorbeikommen – um halb drei in der Nacht seien schon alle im Bett.

Hoffentlich achtet Thorsten Fink in Zukunft ähnlich beflissen auf die Nachtruhe seiner Schützlinge. Beim Gegentreffer von Mario Mandzukic in der zweiten Minute wirkten einige nämlich nicht ganz ausgeschlafen.

Der Sketch ist hier in einem Auszug zu sehen, ab Sekunde 42.

Finale im Fohlenzimmer

Das konnte kein Zufall sein. Ausgerechnet am Wochenende des Bundesliga-Saisonfinales kamen meine Eltern aus dem Schwabenland nach Berlin zu Besuch. Es bedurfte nicht allzu großer Überredungskunst, meinen Vater am Entscheidungstag in eine Fankneipe zu bewegen. Meine Mutter hatte zum Zeichen des teilnahmslosen Einverständnisses den Daumen hochgereckt und auch von meiner Angebeteten kam kein Einwand gegen den vorgezogenen Herrentag.

Der Herr Papa zeigte sich an der obligatorischen Reichstag-Brandenburger-Tor-Unter-den-Linden-Tour ohnehin nicht sonderlich interessiert. Außerdem kann er schon auf eine stattliche Reihe von Kneipengängen mit seinem Sohn zurückblicken, die sich meist recht vergnüglich gestaltet hatten. Diese Serie sollte sich nun in Berlin fortsetzen – bei kühlem Bier und leidenschaftlichem Fußball.

Wir kehrten aber nicht, wie man vielleicht vermuten mag, in das HSV-Lokal nahe der Schönhauser Allee ein. Es verschlug uns an einen Ort, wo mehr Spannung zu erwarten war: das Hops & Barley im Friedrichshain, eine Gladbach-Kneipe. Hier ging es um den nackten Existenzkampf, den Verbleib in der 1. Liga, wohingegen Hamburg nur um einen Platz im trüben Mittelfeld der Tabelle spielte. Einmal mehr begab ich mich auf fremdes Terrain. Nach meinen Ausflügen in das FC Köln Klubheim war nun die Höhle der Fohlen an der Reihe.

Die Räumlichkeit schien wie für meinen Vater, einen ehemaligen Borussen-Fan, hergerichtet. An den Wänden waren liebevoll schwarz-weiß-grüne Fahnen und Tücher drapiert. Vor die Leinwand hatte man Mini-Bierbänke und ausgemusterte Sofas gruppiert. Das relativ kleine Vereinsheim machte – im Gegensatz zu der rauen, stickigen Geißbockhöhle – mehr den Eindruck eines gemütlichen Hinterzimmers, perfekt also für einen gesetzten Mann jenseits der 40.

Die deutsche Heimeligkeit wurde optisch zwar durch die Hohe Tatoo-Dichte gestört, mit Hautmalereien wird man wohl auch diesen Sommer in den hippen Bezirken Berlins bombadiert. Aber die Kneipe steht schließlich dafür, dass sie kein Bier für Nazis ausschenkt.

Das selbstgebraute, leckere Gerstengetränk floss also in politisch korrekter Atmosphäre wie Balsam die Kehlen hinunter. Mein Vater genoss das Dunkle, ich genehmigte mir das Helle und langsam verspürte ich ein Gefühl zunehmender Zufriedenheit. Die Welt war im Grunde ganz in Ordnung, obwohl sich die Saison für den HSV als eine einzige Katastrophe herausgestellt hatte. Auch am letzten Spieltag brachte mein Verein nichts Vernünftiges zustande, aber weshalb hätte es auch eine Wende geben sollen?

Die aktuellen Gladbach-Stars spielten in der ersten Hälfte die Hamburger schwindlig. Marco Reus dribbelte und Dante wuchtete die Bälle aus der Abwehr. Doch mein Vater schwelgte in der Erinnerung an die 70er Jahre. Die Bökelberg-Legenden Allan Simonsen und Horst Köppel, den sie in seiner Stuttgart Zeit nur „’s Horschtle“ nannten, hatten es ihm besonders angetan. Die Verkaufspolitik von Präsident Helmut Grashoff in den 80er Jahren habe den Verein jedoch kaputt gemacht und ihm den Spaß am VfL vergällt.

Da waren wir wieder beim Lieblingsthema meines Vaters angekommen: Baden-Württemberg. Es gab wohl niemanden im Hops & Barley, der baden-württembergischer war als er. Im Gespräch mit einem Borussen-Fan wurde er gefragt, für welchen Verein denn sein Herz schlage. Endlich hatte er die Gelegenheit, sich zu dem Land im Südwesten zu bekennen. In der ersten Liga unterstütze er Stuttgart, Hoffenheim und Freiburg – Hauptsache die Mannschaft komme aus dem Ländle. Aber eigentlich sei er Anhänger des Karlsruher SC. Diese Antwort brachte seinen Gesprächspartner zum Schmunzeln. Es sei praktisch, viele Klubs zu unterstützen, sagte er – denn einer gewinnt ja immer.

Mit seinem Faible für den KSC überwindet er sogar ideologische Grenzen in der Spätzle-Region. Eigentlich ist es nämlich undenkbar, dass ein Württemberger einen Badener – oder „Gelbfüßler“ – unterstützt, umgekehrt verhält es sich genauso. Man wünscht dem „Schwabenseckel“ nichts Gutes und pflegt lieber eine Rivalität, die mit Hohn und Spott für den Gegenüber gewürzt ist.

Solche Animositäten sind meinem Vater fremd. Neben der gezeigten Partie interessierte er sich ganz besonders für ein Spiel, in dem es nach dem Sieg von Leverkusen nur noch um die goldene Maultasche ging. Trotzdem wollte der Lokalpatriot in Person unbedingt, dass der VfB Stuttgart gegen die Bayern gewinnt – ein Wunsch, der sich nicht erfüllen sollte. Im Gegensatz dazu hatten die Gladbacher nur noch Ohren für die Zwischenstände der direkten Konkurrenten Frankfurt und Wolfsburg. Am Ende wurde alles Hoffen und Bangen zur Häfte erfüllt. Der Traditionsklub stieg zwar nicht ab, muss aber gegen den VfL Bochum in die Relegation. Auf Borussen-Seite zeigte man sich mit diesem Ausgang eher zufrieden.

Das Spiel bildete übrigens in Kurzversion die gesamte HSV-Saison ab. Die erste Halbzeit hatten die Hanseaten einfach verschlafen und wurden von aggressiv draufgehenden Gladbachern im eigenen Stadion in die Defensive gedrängt. Nach dem Seitenwechsel wachten die Hamburger langsam auf, verpassten es aber, den Gegner mit dem zweiten Tor zu besiegen. Unter dem Strich kam ein Unentschieden heraus, das unbefriedigend war. Es gab also kein versöhnliches Ende an der Elbe.

Zuhause zeigte ich stolz Handy-Fotos von der Fankneipe, auf denen meine bessere Hälfte eine überraschende Entdeckung machte: „Die Wand ist ja in derselben Farbe gestrichen wie unser Schlafzimmer.“
Da soll noch einer sagen, Fußball sei das Einzige, was zählt.

Die Schurken-Schwaben

Wenn ich Leuten zum ersten Mal erzähle, ich sei Anhänger des HSV, schauen sie mich meist mit großen, fragenden Augen an. Warum denn mein Herz nicht für den VfB Stuttgart schlage, wollen sie wissen. Ich komme doch aus der Gegend und lebe zudem momentan weit weg vom „Ländle“ als Exil-Schwabe im fernen Berlin, wo es keine anständigen Brezeln gibt und die Leute „Schwaben raus“ an die Wände schmieren. Wahrscheinlich wirke ich in diesen Situationen bemitleidenswert entwurzelt und uneins mit meiner Heimatregion.

Das trifft jedoch nur für den Fußball zu. Wenn es um Trollinger, Lemberger und Schwarzriesling geht – allesamt Weine, die für Reingeschmeckte im Grunde ungenießbar sind – höre ich mich selten „Nein“ sagen. Ebenso liebe ich die Weinberge, die die zahlreichen Gemeinden im Unterland umfassen, sowie die spezielle Variante der schwäbischen Mundart, die hier einen stärkeren Singsang hat als in der Landeshauptstadt. Die Nähe zu Karlsruhe und Heidelberg, aber auch zum Odenwald schwingt im Sprechen der Menschen mit.

Obwohl ich also meine schwäbischen Wurzeln nicht verleugnen möchte, wurde mir der „Verein für Bewegungsspiele“ in meiner Kindheit durch drei prägende Figuren vergällt: Gerhard Meier-Röhn, Gerhard Mayer-Vorfelder und Olli, der Lockenbua.

Gerhard Meier-Röhn leitete in den 80er Jahren als Sportchef des SWR die Sendung „Sport im Dritten“ und trug zu dieser Zeit eine Brille mit Gläsern groß wie zwei Rhönräder. In den Beiträgen ging es um den Sport aus baden-württembergischer Perspektive und dabei spielte der VfB als Musterverein der Region eine Hauptrolle. Meier-Röhns langgezogenes „Vau“ ist mir noch sehr lebendig in Erinnerung, ebenso seine stets etwas gelangweilte und herablassende Art, die man am besten mit dem schönen Wort „blasiert“ beschreiben kann. Irgendwie kam er sich viel zu cool vor für den profanen Moderations-Schlamassel.

Die Sendung fiel immer auf einen Sonntag, meinen obligatorischen Badetag. Frisch gebadet, mit noch feuchten Haaren und Wasser in den Ohren, verfolgte ich zusammen mit meinem Vater die Neuigkeiten aus dem Südwesten. Er selbst war mit seinen Eltern im Alter von vier Jahren aus Leipzig in die Gegend gekommen und erreichte über den Sport eine Identifikation mit der Region. Als passabler Stürmer der Kinder- und Jugendzeit konnte er sich vor allem über den Fußball im Schwabenland integrieren. Gern hörte er Meier-Röhn zu, wenn der mal wieder von „unserem VfB“ sprach, was ich als unzulässige Vereinnahmung empfand. Aber ich war wohl so ziemlich der einzige Zuschauer dieser Sendung, der die Klubs aus dem Musterländle relativ leidenschaftslos zur Kenntnis nahm. Heute sehe ich Gerhard Meier-Röhn als die Kröte an, die ich gemeinsam mit meinem Vater schlucken musste, damit er sich in dem schwäbischen Städtle heimisch fühlen konnte.

Der Journalist war später Mediendirektor des DFB und hier kreuzen sich seine Wege mit dem quasi Namensvetter Gerhard Mayer-Vorfelder, in meiner Kindheit Kultusminister von Baden-Württemberg und Präsident des VfB. Der konservative Politiker war eine willkommene Zielscheibe im schwarz regierten südwestlichen Bundesland. Da das „Cleverle“, Ministerpräsident Lothar Späth, sich nicht recht als bad guy eignete, verkörperte der gebürtige Mannheimer die hässliche Fratze der CDU. Er hatte so ein gegeltes Trickbetrüger-Lächeln, ein Haifischgrinsen. Verschlagen blitzten die zu weiß gebleichten Zähne im Solarium gebräunten Gesicht, sodass es mich heute noch bei dem Gedanken daran innerlich schüttelt. Neben „MV“ wäre selbst Gordon Gekko zum Sympathieträger mutiert.

Mayer-Vorfelders Auftritt bei der EM 2004 in Portugal, dem letzten Rumpelfußballturnier einer deutschen Fußball-Mannschaft, zeigte uns eine weitere Seite seiner Persönlichkeit. Damals saß er als DFB-Präsident auf einem Stuhl am Rand des Trainingsplatzes und erinnerte mit Weste und ohne Sakko an einen Mafia-Paten, was unfreiwillig komisch wirkte. Die Analogie zu dem Kino-Klassiker von Francis Ford Coppola konnte treffender nicht sein, handelt der Film doch von dem Niedergang einer Familie. Auch der exzentrische Württemberger verwaltete bei der Euro vor sechs Jahren einen Untergang, allerdings den einer gesamten Fußballnation, was man als Zuschauer im letzten Spiel gegen die tschechische B-Elf bitter miterleben konnte.

Der Dritte im Bunde der fürchterlichen Schwaben war ein Schulkamerad und Kumpel: Olli, „d’r Lockenbua“ oder „’s Zwergle“, wie ihn meine Oma wahlweise wegen seiner Haarpracht und seiner geringen Körpergröße genannt hatte. Olli war immer unglaublich cool. Schon als Achtjähriger hatte er ein damals so heiß begehrtes BMX-Fahrrad, klatschte beim Fahren in die Hände, pfiff auf den Fingern und skandierte dazu „Oleoleoleole.“ Beim Fasching ging er nicht als Cowboy oder Indianer. Nein, er stylte sich als Punker: Riss seine Jeans auf und bemalte sie, schmierte sich Zuckerwasser ins gefärbte Haar und formte es in der Mitte zu einem Hahnenkamm, so wie es heute noch manche Jugendliche tun, die eine besonders lange Leitung haben oder eben ganz weit draußen wohnen.

Olli war so vorlaut und rotzfrech wie der Werbedreikäsehoch, der beim Nutella Spot die Jungnationalspieler an der Nase herumführt und in einer DiBa-Werbung für ein Autogramm Dirk Nowitzki anblafft, weil der nicht in Schönschrift unterzeichnet. Mein kleiner Kumpel hätte hingegen das Krikelkrakel der Stars cool und geheimnisvoll gefunden, wie übrigens die meisten Kinder in diesem Alter.

Auch für seinen Verein schrie und quengelte der Lockenjunge. Er war ein „VfB-Spitz“, wie man die Anhänger der Klubs in unserer Gegend humorvoll-abwertend nannte: ein Fan des „Vereins für Behinderte“. Besonders laut krakeelte er in der Saison, als das Team Meister wurde – angetrieben durch die genialen Mittelfeldspieler Asgeir Sigurvinsson und Karl Allgöwer, abgesichert von den kompromisslosen Förster-Brüdern und Helmut Rohleder im Tor. In dieser Spielzeit war der HSV der schärfste Konkurrent der Schwaben. Die Hamburger hatten die beiden vorangegangenen Meisterschaften und den Landesmeisterpokal an die Alster geholt. Diesmal mussten sich die Hanseaten aber mit dem zweiten Platz zufrieden geben. Und ich hatte als einziger Rauten-Fan die Jubel- und Spottgesänge im Unterland zu ertragen.

Heute bin ich mir nicht mehr sicher, ob sich mein Kontakt zu Olli tatsächlich nur verlief, weil wir gegnerischen Fußball-Klubs anhingen. Das Gedächtnis fantasiert im Nachhinein ja gerne, konstruiert unüberwindbare Grabenkämpfe, wo in Wirklichkeit nur ein Missverständnis herrschte. Im Grunde waren wir von unserem Wesen her zu unterschiedlich, ziemlich oft gehen ja ungleiche Kinder-Freundschaften auseinander.

Fakt ist jedoch, dass Olli, Mayer-Vorfelder und Meier-Röhn am Ende der Saison 1983/84 alle ausgelassen jubelten. Fast erscheint es mir, dass sie sich gemeinsam umarmten, was natürlich völliger Quatsch ist. Ich wusste jedoch schon damals ganz genau, dass ich, was den Fußball angeht, nie in Schwaben heimisch werden würde.

Spanisch für Anfänger

Quelle: Compact Verlag

Diese Woche ließ José Mourinho die Presse wissen, dass er sich gerne einmal näher mit den beiden deutschen Neuzugängen Mesut Özil und Sami Khedira unterhalten würde. Der Trainer von Real Madrid weiß, dass eine gepflegte Konversation das Gefühl der Zusammengehörigkeit stärkt – wenn man nicht gerade heikle Themen wie Politik, Religion oder die desolaten Finanzen des eigenen Klubs anschneidet.

Leider erschwert ein Umstand das ungezwungene Parlieren. Der portugiesische Star-Coach spricht weder Deutsch noch Türkisch. Nicht einmal ein paar Brocken Schwäbisch kann er mit dem ehemaligen Stuttgarter Sami Khedira austauschen, da er außer Spanisch, Italienisch und Englisch keine weitere Fremdsprache beherrscht. Unbehagliches Schweigen ist die Folge dieser babylonischen Sprachverfehlung und das führt zu Missverständnissen und bösem Blut.

Mourinho petzte nämlich den Journalisten, dass die beiden Mittelfeld-Talente in der Landessprache weit limitierter sind als in ihrem Fußballspiel. Nur „buenos dias“ und „hola“ beherrschen sie , also weit weniger als der durchschnittliche Malle-Besucher, der wenigstens noch „una, dos, tres cerveza“ und „un café solo“ bestellen kann.

Meine spanischen Sprachschüler bestätigten mir aber, dass es mit den Spanischkenntnissen des exzentrischen Fußballlehrers auch nicht weit her ist. Trotzdem hat er für die Mütter der beiden Jungstars schlechte Nachrichten: Ihr Nachwuchs habe in der Schule wohl desöfteren den Englisch-Unterricht geschwänzt. Denn selbst in der lingua franca sei eine Unterhaltung zum Beispiel über Wittgensteins tractatus nicht möglich. Dieses Manko teilt das deutsche Duo übrigens mit Lothar Matthäus, der einst selbst zugab: „My Englisch is not very good. But my German is much better.“

„Wovon man nicht reden kann, darüber sollte man schweigen.“, sagt der Philosoph, aber nicht der Trainer der Königlichen. Der steckt den Finger lieber direkt in die Wunde der Einsprachigkeit – just in dem Moment, in dem hier allen Ernstes darüber diskutiert wird, ob unser Land deshalb verdummt, weil sich die vermeintlich Blöden, die Migranten, rascher vermehren. Bestätigt Mourinhos Kritik an den beiden Deutschen mit Migrationshintergrund ungewollt die kruden Zahlenspielchen des maulwurfsäugigen Berliner Ex-Finanzministers?

Aber nein, der brave Sami Khedira zeigt sich nach der Trainer-Schelte jedenfalls schon reuig und gelobt, nach den EM-Qualifikationsspielen, dreimal pro Woche einen Intensiv-Kurs in Spanisch zu belegen. Hoffen wir also, dass er mehr Sprachtalent beweist als der einstige Gladbach-Stürmer Lawrence Aidoo aus Ghana, gegen den Hans Meyer mit einem legendären Bonmot stichelte: „Er lernt seit zwei Jahren die deutsche Sprache und kann jetzt schon „Guten Tag“ sagen.“

Auch in der Bundesliga kämpfen ausländische Spieler meist nicht nur mit dem Ball, sondern mit der permanenten Frage: „der, die oder das“? Traditionell gelten die Niederländer als sprachkompetent. Louis van Gaal, Arjen Robben und Marc van Bommel beherrschen Deutsch wie einen niederländischen Dialekt. Spielerisch leicht prägen sie neue Redewendungen, die dann von Muttersprachlern übernommen werden, wie zum Beispiel „Chancen kreieren“ oder die Verwendung des „Du“ anstelle des unpersönlichen „man“.

Zu den Sprachverweigerern zählen tendenziell die Brasilianer; sie überzeugen lieber durch Taten denn Worte. Eine Ausnahme bildet freilich „kleines, dickes Ailton“, der am liebsten in der dritten Person von sich selbst spricht. Lockere Sprüche wie „Ailton auswechseln? – Immer Fehler!“ oder „Ailton Tor: alles gut!“ sind zu seinem sprachlichen Markenzeichen geworden.

Preisverdächtig ist jedoch die Lernbereitschaft des ersten Nordkoreaners im deutschen Profi-Fußball. Chong Tese vom VfL Bochum gab nach erst fünf Wochen Unterricht schon sein erstes Interview auf Deutsch. „Lernen statt schlafen“ lautet sein ehrgeiziges Motto. José Mourinho wäre begeistert.

Van Kuschelrooy

Kein Wunder, dass Ruud van Nistelrooy am 23. Spieltag gegen Eintracht Frankfurt verletzt zuschauen musste und der HSV nicht viel zustande brachte. Offiziell heißt es zwar, er laboriere an einer Oberschenkelverhärtung. Doch ich befürchte, der Topstürmer muss erst einmal die Nebenwirkungen der recht heftigen Liebesbeweise auskurieren, die ihm in den letzten Tagen von allen Seiten der Liga zuteil geworden waren. Das sind blaue Flecken, Quetschungen und Zerrungen vom permanenten Drücken, Herzen und Ansichziehen.

Der Niederländer rotiert momentan wie ein Musik-Hit durch die Fußball-Medien. Im Fernsehen präsentiert er die Europa League, er lächelt auf den Titeln der Fachmagazine und selbst die ansonsten so unterkühlten Hamburger gehen auf Kuschelkurs mit ihrer neuen 22. Nach dem entscheidenden Dreizueins gegen den VfB Stuttgart warfen sich Feld- wie Reservespieler freudetrunken auf den Torschützen und begruben ihn unter sich; der Menschenhaufen erinnerte an ein Rugbyspiel, wobei van Nistelrooy das Ei war, das die Hanseaten sicher stellten. Auch Trainer Bruno Labbadia herzte kumpelhaft seine Stürmerperle. Als ehemaliger Goalgetter war der Fußball-Lehrer wohl besonders angetan von der Abgebrühtheit seines neuen Stars. Innerhalb von 90 Sekunden und mit nur zwei Ballberührungen hatte „Van the man“ nicht nur den Kritikern beim kicker gezeigt, dass seine Tore auch im Spätherbst seiner Karriere wie welke Blätter von den Bäumen fallen.

Über seinen Qualitätsfußball sind die Hamburger momentan so erleichtert, dass sie ihren neuen Liebling nur noch knuddeln möchten. Von Babies und kleinen Kinder ist ja bekannt, dass Kuscheltiere des Nachts beruhigend wirken und sie damit besser einschlafen können. Diese „Teddybär-Funktion“ übernimmt neuerdings der Weltklassespieler für den in der Vergangenheit so sehr geplagten Rautenverein, der nun schon 23 Jahre lang von einem Titel träumt und in dem Ruf steht, sich im entscheidenden Augenblick in die Hosen zu machen. Neben vernünftigen Gesichtspunkten, die im Vorfeld für oder gegen die Verpflichtung des Niederländers sprachen, wiegt meiner Ansicht nach der symbolische Wert, den van Nistelrooy für den Verein hat, weit mehr.

Der Gefeierte jedenfalls nimmt diesen ganzen Rummel gelassen. Er wirkt zwar nicht ganz so emotionslos fischig wie einst das Phantom Roy Makaay bei den Bayern. Doch auch in seinem Gesicht liegt manchmal eine Spur von Unverständnis hinsichtlich des Aufhebens, das um seine Person gemacht wird, so als ob er sagen wolle: „Hey, fürs Toreschießen habt ihr mich ja geholt. Ich mach doch nur meinen Job.“ Trotz dieser lobenswerten Bescheidenheit wird beim HSV weiter an van Nistelrooy gedrückt und gezerrt. Ja, auch das beste Teddy-Leben hat seine Schattenseiten. Nicht selten werden dem Bärchen von allzu zärtlichen Kleinkindern Augen und Ohren ausgerissen oder das Fell bis zur Unkenntlichkeit versabbert. Und wenn das Stofftier dann ein paar Jährchen auf dem Buckel hat, landet es in einer Ecke oder aus hygienischen Gründen auf dem Friedhof der Kuscheltiere.

Solch radikale Recyclingmaßnahmen drohen dem ehemaligen Welttorschützen beim HSV in nächster Zeit sicher nicht. Zu einer bedrohten Tierart wird hingegen Dino Hermann, das Vereins-Maskottchen. Er wird wohl bald abgelöst werden: von Ruud dem Kuschelbären.


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