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Dicke Lippen

Sie riskierten eine ganz schön dicke Lippe, die Männer von Kopfstoß-Ungeheuer Norbert Meier. Die Erstrundenpleiten des HSV in der Geschichte des DFB-Pokals hatten der Fortuna aus Düsseldorf Mut gemacht. Schon Fußball-Kleinkaliber wie Eppingen, Geislingen und die Stuttgarter Kickers hatten Hamburg herausgeschossen – vor zwei und drei Jahrzehnten. Und in der jüngsten Vergangenheit gilt Weserloo, das Werder-Bremen-Trauma des Vereins aus der letzten Saison, als Symbol für die Anfälligkeit der Rothosen. Warum sollte also nicht auch der Zweitliga-Aufsteiger mit einem Zwergenaufstand erfolgreich sein? Beim HSV reagierte man teilweise verschnupft auf die großen Töne, eine Tatsache wurde dabei übersehen: Kriegsgeschrei dient nicht nur der Einschüchterung des Gegners. Es geht auch darum, die eigene Angst niederzubrüllen.

Die Fortuna hatte die Hosen ziemlich voll. Und natürlich gab es tausend gute Gründe, warum sie nicht gegen Hamburg gewinnen konnte: Düsseldorf liegt nicht in Baden-Württemberg, es ist auch nicht grün und stinkt nicht nach Fisch. Trotz des engagierten Pokal-Fights der Düsseldorfer hatte am Ende der HSV-Torhüter Frank Rost die dickste Lippe von allen – nicht im Interview nach dem Spiel, sondern auf dem Platz. Denn er wehrte mit diesem Körperteil den ersten Strafstoß ab und konnte sich so einmal mehr als Elfmeter-Killer beweisen, nicht nur weil die Beine des Gegners gegen Ende wie Wackelpudding waren.

Einen ganz eigenen Wettbewerb bestritt der ARD Kommentator Schrei-mich-tot-Gerd-Gottlob. Er brüllte ins Mikro, als ob es kein Fernsehbild gäbe. Bei der Bundesliga-Konferrenz im Radio möchte ich nicht auf einen emotionalen Reporter verzichten, schließlich macht hier der Kommentar das Spiel. Im Fernsehen aber finde ich es unpassend, wenn die Reporterstimme das Bild übertönt. Auch ohne einen aufgeregten Marktschreier begreift der Zuschauer, wann ein Spiel spannend ist und wann nicht: Nicht umsonst heißt es fern-sehen. Leider war die Mute-Taste an diesem Abend auch keine Lösung, denn damit war nicht nur der Schreihals stumm, sondern auch die Atmosphäre im Stadion.

Mein Vorschlag: Ein Zweikanalton für Fußballspiele, wahlweise mit und ohne Reporterstimme. Doch so viel Zuschauerfreundlichkeit wäre vom deutschen Fernsehen wohl zuviel verlangt. Den passenden Kommentar zum Kommentar aber boten die Hamburger Spieler nach dem entscheidenden Elfmeter gegen Düsseldorf. Sie jubelten nicht, als hätten sie die Europa League gewonnen und es war nicht uuuunglaaauuubliiiiich, was sich da auf dem Rasen abspielte. Im Gegenteil, sie klatschten sich einfach sachlich ab. Nach dem Motto: Nichts passiert, keine Panik, mit viel Mühe weitergekommen – in die 2.Runde.

Zum Papierkugeln!

DFB-Pokal: draußen, UEFA-Cup: draußen, Meisterschaft: vergeigt, und jetzt auf dem 6. Platz – die absolute Arschlochkarte hat gerade: Nur der HSV.
Eigentlich müsste ich kettenweise Stress-Zigaretten qualmen, aber ich habe erst vor gut fünf Wochen mit dem Rauchen aufgehört – und sorry, Herr Tim Wiese: Wenn Sie auch in den letzten drei Wochen auf meinen Gefühlen rücksichtslos herumgetrampelt sind: Wegen Ihnen fange ich das Rauchen bestimmt nicht wieder an. Mein Kumpel Marcel, angehender Psychologe, hat mir geraten, bis zum nächsten Spiel gegen Bremen Papierkügelchen in meinem HSV-Aschenbecher zu verbrennen – zur Trauma-Bewältigung. Ich jedenfalls habe Basteln oder Origami schon immer gehasst und finde, dass nur Mistkäfer das Recht haben sollten, Kugeln zu drehen. Welcher Idiot ist eigentlich auf die Idee gekommen, zerknülltes Papier auf das Spielfeld zu werfen? Sollte das etwa lustig sein? Hat man den Spaßvogel schon ausfindig gemacht? Mit der heutigen Kriminalistik dürfte das doch kein Problem sein.

Am Samstag rechnete mir ein Fußball-Kumpel noch vor, dass die Meisterschaft für den HSV absolut realistisch sei, aber das ist ja seit Sonntag und der 3672. Klatsche gegen Bremen auch vorbei. Der besagte Sonntag war ja Muttertag und ich rief meine Mutter an, um zu gratulieren, hatte aber meinen Vater an der Strippe, der mitfühlend kondolierte: Ich würde in den letzten Wochen ja eine besonders harte Leidenszeit durchmachen – zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 1:0 für Bremen.

Schon am Freitag – nach dem UEFA-Cup-Aus – war mir eigentlich alles egal und ich habe aus purem Trotz in einem Wettbüro auf die Bundesliga gewettet – zum ersten Mal. Die junge Frau an der Kasse nahm meinen Tipp an und wünschte mir mit einem breiten Grinsen „viiiiieeeel Glück!“ Als ich das Wettbüro verlassen hatte, brach dort plötzlich ein schallendes Gelächter aus. Nun bilde ich mir ein, dass sie über mich gelacht haben. Ich hatte unter anderem auf das Spiel 26A gewettet, Werder Bremen gegen den HSV. Mein Tipp war: Sieg für den HSV.


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