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Oh Veh!

Armin Veh tritt an den Spielfeldrand und dirigiert von dort seine Spieler nach vorne. Wieder einmal hat sein HSV einen dummen Gegentreffer hinnehmen müssen und ist in Rückstand geraten. Kurz vor Schluss der regulären 90 Minuten drängt plötzlich die Zeit, die man vorher leichtsinnig vertändelt hat.

Eigentlich hatten sich die favorisierten Hamburger schon mit dem Unentschieden gegen den 1.FC Köln abgefunden. Momentan bäckt man ja an der Alster kleinere Brötchen. Man hat die Europa League verpasst und auch in dieser Saison den Kontakt zur Spitze schon verloren. Aber an eine Niederlage beim Tabellenletzten haben selbst die größten Pessimisten keinen Gedanken verschwendet. Nun heißt es, noch einmal die letzten Kräfte zu mobilisieren, auch wenn im Grunde der Glaube im Team fehlt, das Ruder noch einmal herumreißen zu können. Das spürt auch Armin Veh, weshalb seine nach vorne rudernden Armbewegungen nicht richtig motivierend wirken. Es beschleicht einen eher das Gefühl, als wolle sich hier jemand vor dem Ertrinken retten.

Der HSV-Coach sieht in dieser Situation ziemlich grimmig aus. Wie so oft, wenn seine Elf einen späten Gegentreffer hinnehmen muss, weil einer der hochbezahlten Elitekicker sich wieder einmal einen Schnitzer geleistet hat, den man günstigenfalls als Schuljungenstreich verbuchen kann. Im schwarzen Mantel mit grau meliertem Haar und dem blassen Gesicht erinnert der 49 jährige Augsburger an eine graue Eminenz, an Horst Frank in der Rolle als Baron, bevor er Timm Thaler das Lachen abgekauft hat. Niemand möchte mit Veh in diesem Moment tauschen.

In der vergangenen Pokalwoche hatte selbst der Stress resistente Trainer wohl ein paar graue Haare mehr bekommen. Erst wurde er von einem heimtückischen Grippevirus außer Gefecht gesetzt, dann servierte ihm sein Assistent Michael Oenning zusammen mit einer Kanne Kamillentee die Hiobsbotschaft von der Pokal-Schlappe gegen Frankfurt: Die gesamte Mannschaft hatte an taktischer Inkontinenz gelitten und sich in einem wirklich besorgniserregenden Zustand präsentiert.

Wen mag es da wundern, dass es den Patienten in dieser akuten Krise keine Sekunde länger in seinem Krankenbett hielt und er am 10. Spieltag gegen den 1. FC Köln wieder auf der Trainerbank saß? Dem Übungsleiter war deutlich anzusehen, dass immer noch feindliche Virenverbände an seinen Kräften zehrten. Die Krankheitserreger mussten auf ihn aber wie Heilmittel gewirkt haben im Vergleich zu der bitteren Pille, die ihm seine Mannschaft in Kölner Rhein-Energie-Stadion verabreichte.

Die Hamburger agierten so unaufgeräumt, als wollten sie Armin Veh noch an Ort und Stelle unter die Erde bringen. Im Spiel nach vorne herrschte Verstopfung infolge zuwenig Bewegung und nach hinten pfiff der Ball durch die Abwehrreihen wie bei einer klassischen Diarrhoe. Zu diesen Symptomen gesellte sich eine rätselhafte Vergesslichkeit, denn ein ums andere Mal ließ man den Kölner Stürmer Milivoje Novakovic aus den Augen, der sich höflich mit drei Treffern für den Freiraum bedankte.

Verschnupft nahm der Patient auf der Trainerbank der Hanseaten die Nachlässigkeiten zur Kenntnis und verwies auf die individuellen Qualitäten in seinem Team, die aber momentan nicht abgerufen würden. Es ist das alte Leiden bei den Rothosen: Anspruch und Wirklichkeit wollen sich einfach nicht decken. Das Argument der traditionell langen Verletztenliste als Grund für den ausbleibenden Erfolg greift zu kurz, da erstens auch andere Bundesligamannschaften ersatzgeschwächt sind und trotzdem ihre Punkte einfahren. Zweitens ist noch völlig offen, wie denn Armin Vehs Bestbesetzung aussehen würde. Die Rotation in seiner Amtszeit war bislang – freilich auch verletzungsbedingt – zu hoch, als dass sich eine Stammelf herauskristallisiert hätte.

Zwei Wochen zuvor gab es noch große Hoffnung bei den Nordlichtern. Nach dem Sieg gegen Mainz war Veh zu Gast in der Fußballrunde Doppelpass. Am darauffolgenden Samstag schoss er beim Aktuellen Sportstudio auf die Torwand. Jenseits des Spielfelds zeigt der Schwabe eine andere Facette seiner Persönlichkeit. Analysiert Situationen sachlich und ruhig, streut trockene, humorvolle Pointen in seine Rede. Das Karohemd steckt in der Bluejeans, auf ein Sakko verzichtet er. Wenn er nicht den Rautenklub coachen muss, wirkt der frühere VfB-Trainer viel jünger und ziemlich schelmisch: Aus dem finsteren Baron wird der Lausbub Timm Thaler.

Recht amüsiert nahm er beim Doppelpass einen ganz besonders gut gemeinten Tipp eines Journalisten entgegen. Angesichts des fortgeschrittenen Alters einiger Leistungsträger wie Zé Roberto, Ruud van Nistelrooy oder Frank Rost, solle Veh in dieser Saison den HSV auspressen wie eine Zitrone. Er solle noch einmal das Beste aus den betagten Akteuren herausholen und gleichzeitig an einem Umbau beziehungsweise einer Verjüngung des Teams arbeiten.

Der Trainerfuchs konnte sich ein zustimmendes, spitzbübisches Lächeln nicht verkneifen und mir wurde klar. Der Mann versteht mehr von Fußball als alle selbst ernannten Ratgeber zusammen, an denen ja beim HSV noch nie Mangel geherrscht hat. Er braucht nur Zeit, um eine Mannschaft zu formen, die seine Handschrift trägt. Und in der sich ein Abwehrspieler findet, der sich nicht zu fein ist, Novakovic zu decken. Dann wird der Fußballlehrer hoffentlich bald auch am Spielfeldrand der Imtech-Arena einigen Grund zum Lachen haben und sich wieder bester Gesundheit erfreuen.

Dicke Lippen

Sie riskierten eine ganz schön dicke Lippe, die Männer von Kopfstoß-Ungeheuer Norbert Meier. Die Erstrundenpleiten des HSV in der Geschichte des DFB-Pokals hatten der Fortuna aus Düsseldorf Mut gemacht. Schon Fußball-Kleinkaliber wie Eppingen, Geislingen und die Stuttgarter Kickers hatten Hamburg herausgeschossen – vor zwei und drei Jahrzehnten. Und in der jüngsten Vergangenheit gilt Weserloo, das Werder-Bremen-Trauma des Vereins aus der letzten Saison, als Symbol für die Anfälligkeit der Rothosen. Warum sollte also nicht auch der Zweitliga-Aufsteiger mit einem Zwergenaufstand erfolgreich sein? Beim HSV reagierte man teilweise verschnupft auf die großen Töne, eine Tatsache wurde dabei übersehen: Kriegsgeschrei dient nicht nur der Einschüchterung des Gegners. Es geht auch darum, die eigene Angst niederzubrüllen.

Die Fortuna hatte die Hosen ziemlich voll. Und natürlich gab es tausend gute Gründe, warum sie nicht gegen Hamburg gewinnen konnte: Düsseldorf liegt nicht in Baden-Württemberg, es ist auch nicht grün und stinkt nicht nach Fisch. Trotz des engagierten Pokal-Fights der Düsseldorfer hatte am Ende der HSV-Torhüter Frank Rost die dickste Lippe von allen – nicht im Interview nach dem Spiel, sondern auf dem Platz. Denn er wehrte mit diesem Körperteil den ersten Strafstoß ab und konnte sich so einmal mehr als Elfmeter-Killer beweisen, nicht nur weil die Beine des Gegners gegen Ende wie Wackelpudding waren.

Einen ganz eigenen Wettbewerb bestritt der ARD Kommentator Schrei-mich-tot-Gerd-Gottlob. Er brüllte ins Mikro, als ob es kein Fernsehbild gäbe. Bei der Bundesliga-Konferrenz im Radio möchte ich nicht auf einen emotionalen Reporter verzichten, schließlich macht hier der Kommentar das Spiel. Im Fernsehen aber finde ich es unpassend, wenn die Reporterstimme das Bild übertönt. Auch ohne einen aufgeregten Marktschreier begreift der Zuschauer, wann ein Spiel spannend ist und wann nicht: Nicht umsonst heißt es fern-sehen. Leider war die Mute-Taste an diesem Abend auch keine Lösung, denn damit war nicht nur der Schreihals stumm, sondern auch die Atmosphäre im Stadion.

Mein Vorschlag: Ein Zweikanalton für Fußballspiele, wahlweise mit und ohne Reporterstimme. Doch so viel Zuschauerfreundlichkeit wäre vom deutschen Fernsehen wohl zuviel verlangt. Den passenden Kommentar zum Kommentar aber boten die Hamburger Spieler nach dem entscheidenden Elfmeter gegen Düsseldorf. Sie jubelten nicht, als hätten sie die Europa League gewonnen und es war nicht uuuunglaaauuubliiiiich, was sich da auf dem Rasen abspielte. Im Gegenteil, sie klatschten sich einfach sachlich ab. Nach dem Motto: Nichts passiert, keine Panik, mit viel Mühe weitergekommen – in die 2.Runde.

Wie bei GZSZ

Vizekusen hat am Samstag beim DFB-Pokal-Finale seinem Namen wieder alle Ehre gemacht und höflicherweise den Gegner gewinnen lassen. Einen Akteur muss man aus Trainer Bruno Labbadias Elf aber lobend herausheben. Einen, der sich mit Engagement, Leidenschaft und eisernem Willen bis zum Schluss gegen die drohende Niederlage gestemmt hat: Bruno Labbadia selbst. Wie er im feinen Zwirn am Spielfeldrand entlangtigerte und sich immer wieder über Stefan Kießling ärgerte, der zum xten Mal einen Schritt zu spät kam und an der Flanke ganz elegant vorbeisegelte – Wahnsinn!

Solch vorbildlicher Einsatz wird wohl schon bald mit der Entlassung belohnt, der frühere Stürmer kommt ziemlich wahrscheinlich zum HSV. Das Verhältnis von Labbadia zu weiten Teilen der Leverkusener Mannschaft soll gestört sein. Ein Grund: Seine Ansprachen seien für die Spieler zu hart. Auch bei Gladbach wurde der raue Umgangston von Trainer Hans Meyer gerügt. Das gesamte Team schrieb einen Beschwerdebrief an den Präsidenten und Jungstar Marko Marin beklagte sich in der Presse über Meyers ironische Sticheleien. Das war dem erfahrenen Coach dann doch zuviel Kindergeburtstag und er schmiss nun nach erreichtem Klassenerhalt hin. Auch Lukas Podolski ließ sich in der Nationalmannschaft den lauten Rüffel von Michael Ballack nicht kommentarlos gefallen und wischte zurück.

Fußball-Leiter und Kapitäne haben’s heutzutage genauso schwer wie Lehrer und Eltern: Irgendwie akzeptieren die Jungen keine Autoritäten mehr. Ein Berg von Erziehungsbüchern will ratlosen Pädagogen zu Hilfe kommen: In ihnen werden Kinder als Tyrannen bezeichnet, die Disziplin wird gelobt und man ist auf der Suche nach der guten Schule. Auch Matthias Sammer fordert von jungen Spielern, dass sie Autoritäten wieder mehr anerkennen sollen – auf dem Platz, aber auch im normalen Leben. „Das hätten wir uns früher nicht getraut“, ist der Standard-Satz der älteren, fassungslosen Generation, die sich in Hierarchien gefügt hat und das auch von den Jungen erwartet. Doch die spielen die Alten gegeneinander aus, schreiben Beschwerdebriefchen, petzen bei der Presse und pinkeln den Leitwölfen ans Bein. Sie tricksen, als ob sie sich mitten in einer Daily Soap befinden, wo die Intrige ein ganz normales Mittel zum Erreichen der persönlichen Ziele ist. Die Jungen sind nämlich nicht durch moralinsaure Ratgeber sozialisiert, sondern mit „Verbotene Liebe“, „Marienhof“ und „Unter Uns“ groß geworden und haben aus den Serien viel gelernt. Nun ist es Zeit, dass Trainer, Lehrer und Eltern ihre Erziehungsschinken einmotten und umdenken.

Vielleicht treffen sich Bruno Labbadia, Hans Meyer und Michael Ballack schon bald zu einem Videoabend und schauen sich ein paar Folgen GZSZ an. Denn das nächste Beschwerdebriefchen kommt bestimmt.

Zum Papierkugeln!

DFB-Pokal: draußen, UEFA-Cup: draußen, Meisterschaft: vergeigt, und jetzt auf dem 6. Platz – die absolute Arschlochkarte hat gerade: Nur der HSV.
Eigentlich müsste ich kettenweise Stress-Zigaretten qualmen, aber ich habe erst vor gut fünf Wochen mit dem Rauchen aufgehört – und sorry, Herr Tim Wiese: Wenn Sie auch in den letzten drei Wochen auf meinen Gefühlen rücksichtslos herumgetrampelt sind: Wegen Ihnen fange ich das Rauchen bestimmt nicht wieder an. Mein Kumpel Marcel, angehender Psychologe, hat mir geraten, bis zum nächsten Spiel gegen Bremen Papierkügelchen in meinem HSV-Aschenbecher zu verbrennen – zur Trauma-Bewältigung. Ich jedenfalls habe Basteln oder Origami schon immer gehasst und finde, dass nur Mistkäfer das Recht haben sollten, Kugeln zu drehen. Welcher Idiot ist eigentlich auf die Idee gekommen, zerknülltes Papier auf das Spielfeld zu werfen? Sollte das etwa lustig sein? Hat man den Spaßvogel schon ausfindig gemacht? Mit der heutigen Kriminalistik dürfte das doch kein Problem sein.

Am Samstag rechnete mir ein Fußball-Kumpel noch vor, dass die Meisterschaft für den HSV absolut realistisch sei, aber das ist ja seit Sonntag und der 3672. Klatsche gegen Bremen auch vorbei. Der besagte Sonntag war ja Muttertag und ich rief meine Mutter an, um zu gratulieren, hatte aber meinen Vater an der Strippe, der mitfühlend kondolierte: Ich würde in den letzten Wochen ja eine besonders harte Leidenszeit durchmachen – zu diesem Zeitpunkt stand es bereits 1:0 für Bremen.

Schon am Freitag – nach dem UEFA-Cup-Aus – war mir eigentlich alles egal und ich habe aus purem Trotz in einem Wettbüro auf die Bundesliga gewettet – zum ersten Mal. Die junge Frau an der Kasse nahm meinen Tipp an und wünschte mir mit einem breiten Grinsen „viiiiieeeel Glück!“ Als ich das Wettbüro verlassen hatte, brach dort plötzlich ein schallendes Gelächter aus. Nun bilde ich mir ein, dass sie über mich gelacht haben. Ich hatte unter anderem auf das Spiel 26A gewettet, Werder Bremen gegen den HSV. Mein Tipp war: Sieg für den HSV.


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