Posts Tagged 'Hannover 96'

Entscheidend is’ auf der Straße

Prenzlauer Ecke Danziger: Das Erste, was einem entgegenspringt, wenn man auf die Straße tritt, ist der unheimliche Lärm, der an diesem Knotenpunkt von zwei Tramlinien sowie den beiden mehrspurigen Hauptstraßen verursacht wird. Von hier aus geht’s zu den hot spots des Ostens: Friedrichshain, Eberswalder Straße und Alex-Mitte; nach Norden hin verliert sich der Verkehr ins Nirgendwo nach Weißensee, das seinem eigenen Tempo folgt. Von dieser Kreuzung aus streben alle irgendwoanders hin, als Andenken hinterlassen sie Krach, schlechte Luft und gestresste Anwohner.

Als nächstes trifft man auf einen Schwarm uniformierter Mitarbeiter des Ordnungsamts, das einen Block weiter seinen Sitz hat. Seit man hier für das Parken bezahlen muss, patroulieren die Herren und Damen der Behörde Tag und Nacht durch das Viertel. Sie helfen bei der Durchsetzung der neuen „Parkraumbewirtschaftung“, wie es so schön auf Beamtendeutsch heißt.
Ein Nebeneffekt: Hundebesitzer dürfen endlich aufatmen. Ihre Vierbeiner können nun ungestört ohne Leine durch die Grünanlagen laufen, ohne dass ein Ordnungshüter aus dem Gebüsch springt, um ein Bußgeld zu verhängen. „Jack-Russell“ ist nun mal keine Automarke.

Wenn man die Prenzlauer Allee hochläuft in Richtung S-Bahnhof, fällt einem sofort das hässliche Lächeln dieser Straße auf. Wie Zahnlücken stechen die leerstehenden, dunklen Ladenflächen hervor, in deren Fenster orange-farbene „Zu vermieten“-Schilder mit Telefonnummer hängen. Unverständliche, Grafitti-ähnliche Zeichen sind auf die Scheiben geschmiert. Hier kann sich ein Tagger verewigen, wenn er mag. Die Scheiben werden erst wieder geputzt, wenn der Laden einen neuen Besitzer gefunden hat. Und das kann dauern.

Es gibt zweifelsohne hübschere Ecken in Berlins schickem Prenzlauer Berg, das Winsviertel und der Käthe-Kollwitz-Kiez sind nur fünf Minuten zu Fuß entfernt. Aber was ist schon schön?
Wer als Zugezogener in Berlin lebt, der hat sein Verständnis von Schönheit nicht nur einmal überdacht und revidiert. Denn die Hauptstadt hat – abseits der Vorzeigestraßen und Puppenhaus-Alleen – ihre eigene Attraktivität. Das gilt auch für dieses Stück der Prenzlauer Allee.

An einem Automatencasino flimmert unablässig das Leuchtschild „open 23 Stunden“. Eine Frauenkleider-Boutique bietet deutsche Größen von 36 bis 50 an. Ein Krimskrams-Geschäft ist vollgestopft wie eine Messie-Wohnung. Den Namen habe ich vergessen. Wenn ich ehrlich bin, hat es mich bisher auch nicht interessiert, obwohl ich bereits unzählige Male daran vorbeigelaufen bin – und einmal sogar was gekauft habe. Nein, nicht ganz. Letzten Sommer wollte ich während der Affenhitze einen Standventilator kaufen. Natürlich waren alle aufgrund der tropischen Temperaturen in nullkommanichts verkauft, ich kam viel zu spät. Ich solle nächste Woche noch einmal wiederkommen, sagte man mir damals. Mittlerweile ist fast ein Jahr vergangen, bald kehrt der Sommer wieder und ich habe immer noch keinen Ventilator.

Vor einem Spieleladen, in dem man auch direkt zocken kann, stehen regelmäßig Teenager herum, rauchen und spucken auf den Boden. Oft auch solche, die vollkommen schwarz gekleidet sind – früher hätte man sie als „Gruftis“ oder „Schwarze“ bezeichnet. Eine dicke, modrige Patchouli-Wolke umgibt sie. Nach Schaufenster und Publikum zu urteilen werden hier vornehmlich Fantasy-Rollenspiele veranstaltet.

Neben dem Jugendtreff befindet sich eine klassische Berliner Eckkneipe, die in der Namensgebung durchaus Fantasie beweist. Das „Warsteiner-Café“ macht den Eindruck, als ob es hier hauptsächlich um das erste der beiden deutschen Volksgetränke gehe.
Draußen wird an Cafétischen und –stühlen der leckere Gerstensaft geleert, drinnen tut man am dunklen Tresen nichts Anderes. Die Bewegungen in der Bar wirken im Vergleich zum vorbeirauschenden Verkehr draußen wie um das 100fache verlangsamt: Zigarettenqualm steigt zur Decke, jemand führt sein Glas zum Mund, die Thekenkraft zapft ein weiteres Pils. Es scheint, als ob die Zeitlupe-Taste gedrückt wäre – nur das Blinken des Spielautomaten an der Wand widersetzt sich dem verlangsamten Modus.

Am Fenster hängt ein vergilbtes Schild: „Raucherkneipe. Eintritt ab 18 Jahren.“ Und noch ein Aushang ist an die Scheibe gepinnt: „Wir suchen eine nette, zuverlässige Mitarbeiterin“, „zuverlässige“ ist doppelt unterstrichen.

Auch 200 Meter weiter Richtung S-Bahnhof werden verlässliche Leute gesucht. Ein Blumenladen braucht Aushilfen und bietet dafür Minijobs. Kurze Lebensläufe sind an der Kasse abzugeben, steht auf einem handgeschriebenen Poster. An Arbeit und ein bisschen Geld für sogenannte Gering-Qualifizierte scheint es in dieser Ecke nicht zu mangeln.

Auch der Weg des HSV ist unsicher und der Verein blickt in eine ungewisse Zukunft. Zu Saisonende gibt es einige Vakanzen. Gestandene Profis wie Frank Rost, Ruud van Nistelrooy, Piotr Trochowski und nun auch Zé Roberto haben sich entschieden, den Verein zu verlassen. Diese Kräfte werden wohl kaum von Großverdienern ersetzt, weil das Geld an der Alster nach zwei verpatzten Europa League Teilnahmen mittlerweile knapp ist und ein moderater Sparkurs eingeleitet werden muss.

Der neue Sportchef Frank Arnesen wird zwar nicht unbedingt Minijobs ausschreiben, noch wird er sich auf die Suche nach Gering-Qualifizierten machen. Aber die Zeit großer Transfers ist für die nächste Zeit vorbei. Der Däne wird sich am Vorbild Dortmunds und noch eher dem von Hannover orientieren müssen. Der „kleine HSV“ aus Niedersachsen demonstrierte in der aktuellen Saison eindrucksvoll, wie man mit einer disziplinierten taktischen Ordnung auch ohne Stars erfrischend auftreten kann.

Wie auf der Prenzlauer Allee ist auch bei den Hanseaten noch nicht ganz klar, wohin die Reise geht. Entweder gerät der Verein kommende Saison wie Werder Bremen in ernsthafte Schwierigkeiten. Oder er entwickelt sich wie der 1.FC Nürnberg oder Hannover 96 und avanciert zur Überraschung der Liga. Dafür braucht der Rautenklub Verstärkung, die mit großem Herz aufspielt und vor allem eins ist: zuverlässig.

November ist ein Blödmann

Als HSV-Fan kommt man sich in letzter Zeit vor wie der kleine Depri-Knilch aus den legendären TV-Spots von Multi-Sanostol. In den Filmchen schlurft ein antriebsschwacher Bengel durch den Fernseh-Herbst der 80er Jahre. Einmal hat er einen scheußlichen Gießkannen-Regen zu überstehen, der einzig auf ihn herabregnet; dazu peitscht ihm der Wind fürchterlich um die Ohren, wirbelt welkes Laub auf. In einer anderen Version verlässt das kleine Pflänzchen gerade das Schulhaus und bleibt kraftlos am Eingang stehen. In beiden Spots wird der bemitleidenswerte Protagonist von einer abstoßend vitalen und lärmenden Kinderhorde an den Rand gedrückt und links liegen gelassen. Sie tragen definitiv keine schwarzgelben BVB-Schals, sind aber trotzdem unausstehlich.
Ein Off-Sprecher kommentiert die Tragödie:

„Wenn ein Kind häufig lustlos ist, wenig Appetit hat und oft erkältet ist, braucht es Multi-Sanostol.“

Die kurzen Werbestreifen erinnern an den Stil von Fernseh-Klassikern wie Aktenzeichen XY-ungelöst oder Der 7. Sinn. Sie sind halb-dokumentarisch und wirken – wohl ungewollt – apokalyptisch. Das Omega-Kind stapft desillusioniert und schwächlich über Gottes tristen Novemberacker, während der Alpha-Nachwuchs unbeirrt voranschreitet und sich mit kräftigen Ellenbogen Platz verschafft.

Auch der HSV hat in den vergangenen Wochen den ein oder anderen Schlag von der Konkurrenz mitbekommen und ist gerade damit beschäftigt, seine Wunden zu lecken und die blauen Flecken auszukurieren. Nach der Niederlage gegen Hannover möchte man die Frage, wer denn nun der große und wer der kleine HSV ist, lieber nicht stellen. Die Antwort wäre für den Bundesliga-Dino ziemlich peinlich, schrumpft er doch gerade in seinem Ansehen in der Liga auf Erbsengröße ein.

Trainer Armin Veh verkündet schon am Tag nach der Auswärtspleite, er sei mit der leidenschaftlichen Einstellung seines Teams zufrieden. Seine Elf habe überzeugend nach vorne gekämpft. Dieses Lob entbehrt nicht einer gewissen Komik, wenn man sich das Bild des ramponierten Kapitäns vor Augen führt. Heiko Westermann hat einen Cut unter dem rechten Auge, ein respektables Andenken aus der letzten Schlacht, das jedem Boxer Ehre machen würde. Er hat famos gekämpft, letzten Endes aber vergeblich. Nun hat er eher einen Finger voll Bepanthen nötig als Multi-Sanostol.

In memoriam: Robert Enke

Robert Enke ist tot und Deutschland verliert einen sympathischen Torhüter, der auch im Erfolg bescheiden und unaufgeregt geblieben ist. Nur einmal hatte ich die Gelegenheit, seinen Paraden im Stadion zuzuschauen – im ersten Spiel dieser Saison, als Hannover 96 zu Gast in Berlin war. Wie in den meisten Begegnungen hielt Enke auch an diesem Tag tadellos. Das waren wohl seine wichtigsten Markenzeichen als Spieler: die Konstanz und Verlässlichkeit. Dennoch konnte auch er den Siegtreffer der Hertha in der 80. Minute nicht verhindern: ein Beinschuss.


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