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Zum Niederknien

Fußballer folgen mannigfaltigen Ritualen. Manche berühren vor dem Betreten des Spielfelds noch schnell den heiligen Rasen, bekreuzigen sich und schicken ein Stoßgebet in den Himmel. Andere achten darauf, dass sie immer mit dem rechten Fuß zuerst auf das gesalbte Grün auflaufen. Wieder andere singen voller Inbrunst die Nationalhymne mit, was sie für Spitzfindige zu Patrioten macht. Oder sie verweigern prinzipiell deren Intonieren, was in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit Anstoß erregt. In Spanien hat man in dieser Frage eine intelligente Lösung parat. Da die Hymne keinen Text hat, erspart man sich eine Vaterlandsdiskussion.

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Der American-Footballstar Tim Tebow vollführt eine ganz spezielle Geste. Er betet. Nicht im stillen Kämmerchen sondern vor aller Augen auf dem Feld. Vor einer Begegnung oder einem wichtigen Spielzug bittet er um Gottes Beistand; setzt das rechte Knie auf den Boden, während auf dem linken, angewinkelten Bein der Arm ruht. In ganz dramatischen Momenten stützt er gar die Stirn auf die Faust und erinnert den SZ Redakteur Jürgen Schmieder an die Statue „Der Denker“ von Auguste Rodin.

Auch die amerikanische Popkultur hat das öffentliche Gebet nun entdeckt. Unter dem Namen „Tebowing“, in dem passenderweise das englische „bow“ = „sich verbeugen“, steckt, wird die Pose bis ins Unerträgliche reproduziert. Skifahrerin Lindsey Vonn, ein wahrer Ausbund an Heiterkeit, verrenkt sich vor den Kameras und meistert dabei das Kunststück, den Firmennamen der Skier in die Linsen zu lancieren. Lady Gaga muss natürlich auch mitmachen, da sie dem Zuschauer keine Atempause ihrer permanenten Präsenz geben will.

Gibt man bei Google den Begriff „Tebowing“ ein, erhält man bei den Bildern 26,4 Millionen Einträge, wobei die T-Shirts mit dem Konterfei des 24-jährigen Quarterbacks noch relativ harmlos sind im Vergleich zu dem sonstigen Wahnsinn. Man stößt auf kniende Hochzeitspaare, Partygruppen, Nacktmodels, Eltern, die ihre Kinder zu der Pose nötigen. Tebower im Büro, vor dem Fernseher, vor dem Laptop – vielleicht um den Lauf der Kugel beim Online Roulette zu beeinflussen. Menschen im Staub vor diversen Skylines, darunter auch vor dem Eiffelturm in Paris. Paris darf ja in den Vereinigten Staaten nicht fehlen, wenn man zeigen will, wie kultiviert man ist. Spätestens beim Anblick eines Pferdes, das zu dieser unnatürlichen Haltung gezwungen wird, kommt der Gedanke: Was tun sich die Amerikaner da an?

Wahrscheinlich würde auch Tebow über diese Hysterie nur verständnislos den Kopf schütteln. Er ist kein Showstar, eher ein introvertierter Typ, der nicht viel übrig hat für die Welt der Stars und Sternchen, des Glamours und der Casino Spiele.

Ein Cartoon über Mitt Romney, den aussichtsreichen Bewerber der Republikaner als Kandidat für das Präsidentenamt, führt das organisierte, inhaltsleere Hinknien zu seinem eigentlichen Kern zurück. Der Politiker, der seine Anhängerschaft eher in der Mitte hat, imitiert den strenggläubigen Footballer, was etwas einstudiert wirkt und wie ein Spagat anmutet. Die Szene wird von einem Football-Fan-Ehepaar mit den Worten kommentiert, dass Romney alles tun würde, um die christliche Rechte zu gewinnen.

„Der Denker“ von Rodin hingegen kniet nicht. Er sitzt auf einem Block – und das macht einen wesentlichen Unterschied. Diese Geste trägt nicht nur eine philosophische, sondern auch eine tiefreligiöse Bedeutung in sich. Mich erinnert das Ritual an das Mittelalter: den Ritterschlag. Die Statur Tim Tebows – er gilt mit 1,91 Metern und 105 Kilogramm als Modellathlet – und seine Football-Montur mit Schulterpolstern und Helm verweisen auf einen mittelalterlichen, gottesfürchtigen Recken.

Der Ritterschlag bedeutete bis zum 14. Jahrhundert die Initiation in die Kriegerkaste. Ein Landesherr oder König erhob den Berufskämpfer in einen elitären Stand. Teil des Rituals war es, dass der zum Ritter Erhobene niederknien musste und mit der flachen Seite des Schwerts an Schultern und Kopf berührt wurde. Wenn er sich nach diesem Prozedere wieder erhob, genoss er offiziell einen anderen Status und hatte Aussicht auf ein höfisches Leben oder auf ein Lehen, was in der agrarischen Gesellschaft die Absicherung des Lebensunterhalts bedeutete. Als Ritter blieb er zwar ein – freilich privilegierter – Diener. Dem Ideal nach hatte er in diesem Stand Gott, dem Landesherren und der Minne, der höfischen Liebe, zu dienen.

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Ein Niederknien, das nicht als Pose berechnet war, ging nach der Halbfinal-Niederlage Deutschlands bei der Fußball-WM in Südafrika um die Welt. Bastian Schweinsteiger verharrt einen Moment lang in Ritter-Manier auf dem Rasen von Durban. Den Kopf zu Boden gesenkt kniet er mit dem rechten Bein auf dem Boden, während das linke aufgestellt ist. Es sind die Sekunden zwischen dem Am-Boden-Liegen und dem Wieder-Aufstehen, die sich durch diese Körperhaltung verräumlichen. Nach dem bitteren Nullzueins war für Deutschland und für Schweinsteiger alles vorbei, dennoch: Ein leidenschaftlicher, ambitionierter Sportler lässt sich durch eine Schlappe nicht für immer niederwerfen.

Es ist eine Ironie, dass Charles Puyol dem emotionalen Leader wieder auf die Beine hilft. Er hatte das Siegtor in die deutschen Maschen gewuchtet. Ausgerechnet die Kampfbestie Puyol.

Touché

Gruppe C – 1. Spieltag

Algerien – Slowenien 0:1

Gruppe D – 1. Spieltag

Serbien – Ghana 0:1

Deutschland – Australien 4:0

Im Grunde hat erst mit dem leidenschaftlichen Auftritt der DFB-Elf die WM richtig begonnen. In ihrem Auftaktspiel gegen Australien traf sie die Zuschauer beim Public Viewing oder zuhause vor dem Fernseher mitten ins Herz. Auch der ZDF-Kommentator Béla Réthy, der in seiner Laufbahn schon so manchen deutschen Fehlpass oder Stockfehler hat kommentieren müssen, war berührt. Er suchte nach einem Vergleich, um das, was er auf dem Spielfeld sah, einordnen zu können.
Die deutsche Mannschaft erinnere ihn an das Weltmeister-Team von 1990 mit Andreas Brehme und Pierre Littbarski auf den Außenbahnen. Das seien auch Persönlichkeiten gewesen, die den Ball mit feiner Technik kontrollieren konnten – ähnlich wie Bastian Schweinsteiger, Philipp Lahm, Thomas Müller und Mesut Özil.

Doch der Vergleich hinkt. Die Protagonisten des italienischen Sommers anno 90 – zu denen man neben den bereits Genannten noch Lothar Matthäus und Guido Buchwald hinzufügen muss – bildeten zwar ein Team, das seine Qualitäten hatte und weit entfernt war von dem scheußlichen Rumpelfußball der Rest-90er und beginnenden Nuller-Jahre. Auch sie verfügten über Disziplin, Technik und eine eindrucksvolle Dynamik. Aber sie waren kampferprobte Haudegen, die schon manche Schlacht geschlagen hatten, abgeklärt und cool – und vor allem nicht mehr die Jüngsten.

Das aktuelle Löw-Team wirft dagegen das in die Waagschale, womit wir schon in Oslo Europameister im Singen wurden: die Jugend, das Unverbrauchte und Unvorhersehbare.
Wurde der deutsche Fußball von der ausländischen Presse traditionell mit den Metaphern „Panzer“, „zertrümmern“, „Maschinen“ und „Roboter“ belegt, erinnert das deutsche Spiel aus dem Jahr 2010 an ein filigranes Duell im Florett-Fechten. Der Ball wird in den eigenen Reihen so lange verschoben, bis man an eine freie, verwundbare Stelle des Gegners gelangt, in die man dann blitzartig hineinstoßen kann: Touché!
Diese kontrollierte Kreativität ist so im deutschen Fußball bisher noch nicht aufgetaucht. Und auch die Variabilität, mit der das Team zu überraschen weiß, ist unvergleichlich. Philipp Lahm hat recht: Er spielt in der qualitativ besten und geistreichsten DFB-Elf.
Nur Mario Gomez hat den Zeitgeist verpasst. So tollpatschig wie er über den Platz stolpert, wirkt er wie ein Relikt aus den späten 90ern. Dahin sollte man ihn auch wieder zurückbeamen. Zeitgemäße Stürmer haben wir ja genug.


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