Dem Erfolg misstrauen

„Bedenke, dass du sterblich bist“, mahnte zur Zeit des Römischen Reichs ein eigens dafür engagierter Einflüsterer. Feldherren ließen sich nach erfolgreichen Kriegskampagnen auf Triumphzügen von den Massen feiern: In einer Mischung aus Militärparade und Materialschau wurde nicht zuletzt die Beute präsentiert: gefangen genommene Gegner, Tiere, Waffen. Nichts Anderes tun heutzutage heimkehrende Weltmeister, wenn sie den jubelnden Fans den Pokal präsentieren. 

Gerade im Imperium Romanum scheint man jedoch sensibel gegen Hybris gewesen zu sein, es gab auch immer ein Misstrauen gegen zu großen Erfolg der Kriegsherren. Die Möglichkeit der Anmaßung und Überhebung wurde in römischer Zeit im Triumph mitgedacht. Deshalb fuhr im Moment des Triumphs auf dem Streitwagen des heimkehrenden Helden der Mahner mit.

Raphael Honigstein erzählt in seinem Buch „Der vierte Stern. Wie sich der deutsche Fußball neu erfand“ das „eigentliche Märchen des deutschen Fußballs“; es gipfelte in den Gewinn des 4. WM Titels 2014 in Brasilien. Aus heutiger Sicht hätte der Analyse des Autors ein mahnender Einflüsterer gut getan. Der England-Experte Honigstein rückt den WM-Sieg in einen größeren Kontext. Nach den Pleiten der Turniere von 1998, 2000 und 2004 habe im deutschen Fußball ein Umdenken stattgefunden.

Neben dem Wandel im Fußballstil und im taktischen Verständnis, initiiert durch Jürgen Klinsmann und Joachim Löw, sei die Intensivierung und Neuausrichtung der Nachwuchsarbeit ein Schlüssel für den späteren Erfolg gewesen. Der Weg zum Titel sei ein langes Unternehmen gewesen, das auch von schmerzlichen Niederlagen begleitet war, illustriert der Autor überzeugend; den Anfang verlegt er schon ins Jahr 2000. Widrigkeiten, die das DFB-Team direkt beim Turnier in Brasilien überwinden musste – z.B. die holprige Vorbereitung, die nicht in allen Teilen optimale Mannschaftsaufstellung mit vier Innenverteidigern etc – finden ebenfalls Erwähnung.

Das liest sich insgesamt recht flüssig und rund: und darin liegt gerade das methodische Problem des Buchs: Es ist eine etwas zu runde Geschichte, geschrieben von den Siegern. Der WM Triumph wird als Erfolgsgeschichte  konstruiert: aus der Perspektive der Gegenwart. Aber diese Narration berücksichtigt nicht, dass Erfolg äußerst flüchtig sein kann und immer nur eine Episode in einem größeren Kontext darstellt.

Dass die von Honigstein beschworene Neuerfindung des deutschen Fußballs recht brüchig war, zeigte sich noch im selben Jahr, als das Buch erschien:  2016 konnten die Deutschen bei der EM in Frankreich nicht an den vorangegangenen Erfolg anknüpfen, 2018 gab es gar das desaströse Vorrundenaus in Russland.

Ein Mahner auf dem Triumphzug, Misstrauen gegen den Erfolg, fehlt in Honigsteins Märchen.

Gründe für den Niedergang des deutschen Fußballs in Nationalelf und Bundesliga nach dem Titel von 2014 analysiert Dietrich Schulze-Marmelings „Ausgespielt? Eine Krise des deutschen Fußballs“ aus diesem Jahr. 

Hier werden vor allem die Schattenseiten der Jugendförderung in Deutschland diskutiert.

 

 

Literatur:

Raphael Honigstein, „Der vierte Stern. Wie sich der deutsche Fußball neu erfand.“ Berlin 2016.

Dietrich Schulze-Marmeling, „Ausgespielt? Die Krise des deutschen Fußballs.“ Göttingen 2019.

 

 

Es ist Zeit…

Christian Eichler schreibt in seinem preisgekrönten Buch „90 oder die ganze Geschichte des Fußballs in neunzig Spielen.“ über das legendäre Halbfinalspiel Brasilien gegen Deutschland bei der Fußball WM 2014 in Belo Horizonte. Die 6:40 Minuten zwischen dem Zwei- und dem Fünfzunull hätten „das Zeitgefühl so sehr betäubt, dass diese vier deutschen Tore, dass die gefühlte Zeit dieser Tore einerseits flüchtig und unwirklich erscheint und andererseits dauerhaft und höchst real.“ 

Aus Eichlers nachvollziehbarer Dialektik ergibt sich meiner Einschätzung nach eine Schlussfolgerung: Die „6 Minuten Magie“, die als Kern in den 7:1-Triumph des DFB-Teams gegen die Selecao eingeschmolzen waren, markierten aus heutiger Sicht den Höhepunkt der Ära Löw. Was danach kam, inklusive des äußerst knappen WM-Finales gegen Argentinien, war fußballerisch gesehen ein Niedergang. 

Seit meinem letzten Blogeintrag „Kochen vor Wut“ sind nun gut 7 ½ Jahre vergangen, und ich bin mir nicht sicher, ob es wirklich Jahre der Magie waren. Jedenfalls dachte ich, das mit Fußball und Schreiben sei vorbei. Tja, zu früh gedacht…

Und gerade an diesem Punkt komme ich zurück zu dem, was mich umtreibt: zu Geschichten, die der Fußball schreibt, zu Sätzen aus der Tiefe des Raums. Ich beginne zu begreifen, was mein Vater meinte, wenn er hin und wieder fragte, ob ich nicht mal wieder was schreiben wolle. 

Man steigt ja niemals in denselben Fluss, wusste Heraklit, noch bevor Griechenland mit Otto dem Großen Europameister wurde. Aber trotzdem ist da ein langer, ruhiger Fluss, der zugleich vertraut ist und voller Unwägbarkeiten: panta rhei.

 

 

Kochen vor Wut

Gerade mal eine halbe Stunde war absolviert und ich hatte schon genug gesehen. Die Unbeholfenheit, ganz augenscheinlich vor dem Tor. Die fehlende Abstimmung zwischen den Mannschaftsteilen. Die mangelnde Stabilität, die mir so eindrücklich entgegenflimmerte, dass ich Angst haben musste, die Darbietung der Hamburger würde sich schädlich auf die Komponenten meines Fernsehers auswirken.

Das von Sportchef Frank Arnesen als „Sechspunkte-Spiel“ angepriesene Aufeinandertreffen mit Freiburg trieb mich schon nach der ersten halben Stunde aus dem Wohnzimmer in die Küche, wo ich zu kochen begann. Jetzt weiß ich, dass ich damit einem Impuls folgte, der mir im Elternhaus mitgegeben worden ist.

Als ich Kind war, verbrachten mein Vater und ich unzählige Fußballspiele gemeinsam vor dem Fernseher. Die Sportschau am Samstag gehörte zum Wochenende wie der Sauerbraten mit Spätzle und das obligatorische Baden am Sonntagabend. Wenn wir die Zusammenfassungen verfolgten, kannten wir meist schon das Ergebnis, natürlich hatten wir vorher die Bundesliga-Konferenz im Radio live auf SDR3 gehört.

Ich habe diese Abende als sehr entspannt in Erinnerung. Das Ergebnis stand fest und war selbst durch die Sportschau nicht mehr zu korrigieren. Wir konnten Siege des eigenen Vereins noch einmal in aller Ruhe auskosten. Und die deprimierende Nachricht einer Niederlage hielt sich in Grenzen, da die Beiträge nur maximal fünf Minuten dauerten.

Einen zusätzlichen Genuss bereiteten uns immer die Spieltage, in denen sich die arroganten Bayern so richtig blamierten. Die Schadenfreude wollten wir durch die gesendeten Bilder richtig auskosten. Wenn Sportschau lief, war alles schon passiert und das beruhigte uns auf unerklärliche Weise. Vielleicht liegt hierin auch ein Grund, warum ich mich sehr für Geschichte interessiere.

Weit unruhiger war die Stimmung bei live Übertragungen, besonders bei entscheidenden Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Mein Vater war meist zu aufgewühlt, sich das Geschehen anzusehen und verzweifelte an seiner eigenen Ohnmacht. Vielleicht hätte er am liebsten seine Fußballschuhe geschnürt und sich selbst eingewechselt. Doch er war nicht Günter Netzer, auch wenn er ihn bewunderte und Puma-Schuhe hatte wie dereinst sein Lieblingsteam Mönchengladbach.

Wie ein verstörtes Tier in der Wilhelma lief er durch die Wohnung. Schaute nach dem Essen, wusch die Hände, kochte einen Kaffee, schmierte sich einen Hefezopf mit Butter und Nutella, schaute wieder nach dem Essen. Meine Mutter kommentierte dieses merkwürdige Verhalten belustigt mit einem Trockenen: „Der Pap ist nervös.“  In der Küche, wo mein Vater sich zu immer neuen Übersprungshandlungen treiben ließ,  lief dann die Radioübertragung des Spiels, was ich überhaupt nicht verstehen konnte.

Ich fand es immer weit aufreibender, Fußball im Radio zu verfolgen, da der Kommentar meist dem Spielgeschehen hinterherhechelt. Ich wollte auf der Höhe des Balls bleiben und blieb mit meiner Mutter vor dem Fernseher kleben. Ich wollte sehen, was passierte. Auch eine Niederlage musste ich mit eigenen Augen verfolgen, um mir darüber klar zu werden, dass das Desaster wirklich war.

Meine erste Erinnerung an ein Schlüsselspiel ist kein Bild, sondern ein österreichisches Kauderwelsch. Es sprudelte aus dem Radio im Schlafzimmer meiner Eltern, während mein Vater apathisch auf dem Bett saß. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich das „I werd’ narrisch!“ gehört habe, weiß aber, dass die Stimmung danach deprimiert bis resigniert war.

Klarer erscheinen mir die Bilder vom Halbfinale von 1980 bei der EM in Italien. Es ging gegen Holland. Vor der Elftal hatte mein Vater einen Riesenrespekt, um nicht zu sagen eine Heidenangst. Wahrscheinlich fürchtete er, dass das Schicksal seinen Tribut fordern würde. Seiner Ansicht nach wurde Deutschland 1974 zu Unrecht Weltmeister, die Krone hatte dem Team von Johan Cruyff zugestanden. Nun, sechs Jahre später, verfolgte er das Spiel gegen die gar nicht mehr so übermächtigen Holländer in der Küche, um das vermeintliche Unheil (das bekanntlich ausblieb) nicht mit eigenen Augen sehen zu müssen.

Die Küche ist in unserer Familie also ein Rückzugsort gegen drohendes Unheil geworden; auch für mich war sie gegen Freiburg ein Schutzraum. Nach dem Einszunull bereitete ich eine Avocado-Salsa zu als kalte Soße zu den warmen Nudeln. Aus dem Wohnzimmer hörte ich den beschwörenden Kommentar von Torsten Kunde: Die Breisgauer würden ganz dicht vor dem Zweizunull stehen. Ich würfelte die Tomaten und Avocado, schnitt Knoblauch, hackte die Petersilie und presste eine Zitrone aus. Alles in einem Schälchen vermengen. Kräftig salzen und pfeffern, dann in den Kühlschrank stellen und ziehen lassen. Als ich die Kühlschranktür öffnete, erzielte Freiburg den zweiten Treffer.

Das Rezept hatte ich aus dem Internet und die Pasta war sehr frisch und lecker. Vielleicht sollte Thorsten Fink sich auch einmal im Internet umschauen nach einem Rezept, wie man den HSV wieder konkurrenzfähig machen kann.

Alles wird passieren

In der Antike suchten Personen vor einer wichtigen Entscheidung den Ratspruch der Götter. Hohepriesterinnen empfingen die Orakel, die Zeichen der höheren Instanz, berauscht von Dämpfen, die aus einer Erdspalte aufstiegen. Die berühmtesten Sprüche ergingen an Ödipus: Er würde seinen Vater töten und seine Mutter ehelichen, was sich tatsächlich erfüllte. Die meisten Sätze waren jedoch eher ein Rätsel als eine direkte Handlungsanweisung. Der Feldherr Themistokles sollte die Stadt Athen verlassen und sie mit hölzernen Mauern verteidigen. Gewitzt verstand der Stratege, was zu tun war, ließ seine Flotte ablegen  und besiegte die Perser bei der Seeschlacht von Salamis. Falsch interpretierte Krösus, der letzte König von Lydien, hingegen den Satz „Wenn du den (Fluss) Halys überschreitest, wird du ein großes Reich zerstören.“ Er dachte, er würde durch die Grenzüberschreitung der Herrschaft der Perser ein Ende setzen, bedachte aber nicht die Kehrseite und vernichtete seine eigene Herrschaft.

Nach der Niederlage des HSV kurz vor dem Weihnachtsfest im Pokalspiel gegen den VfB Stuttgart offenbarte sich auch Trainer Thorsten Fink als Orakel. „Alles wird passieren, was man will. Aber auch was man fürchtet.“, philosophierte er zweideutig im Bild-Interview.

Man konnte zwar noch nicht in Erfahrung bringen, aus welcher Erdspalte diese erstaunliche Weisheit Eingang in das Bewusstsein des Fußball-Lehrers gefunden hat. Doch der clevere Fink trifft mit der Sentenz einen wunden Punkt im Herzen des Traditionsklubs: die Furcht.

Im Nordderby gegen Werder Bremen war der HSV zwar forsch und furchtlos aufgetreten, aber ihm fehlte das Glück und die Effektivität. Der Rautenclub hatte größere Spielanteile, aber er agierte in einigen Situationen ohne Spielwitz und Ballsicherheit. Und vorne vermochten weder Mladen Petric noch Paolo Guerrero, die sich ihnen bietenden Chancen konsequent zu verwerten. Die nötige Fortune und Cleverness konnten die Hamburger nur in den Reihen des Gegners bestaunen – wie so oft, wenn es gegen den Lieblingsfeind Werder Bremen geht.

Vor einem Jahr stichelte Tim Wiese noch, dass die Spieler des HSV gar nicht mehr von der Tradition und Emotionalität des Nordderbys Bescheid wüssten – angesichts der Fluktuation im Personal bei den Rothosen. Man könnte diesem Einwand mühelos widersprechen mit dem Hinweis, dass sich auch das Team von der Weser in einem Umbau- und Verjüngungsprozess befindet. Diese Polemik trifft meiner Meinung nach nicht zu, da die Geschichte eines Vereins grundsätzlich dauerhafter ist als dessen Personal.

Die Fans pflegen insbesondere dieses lange Gedächtnis. Der Wurf mit einem Plastikbecher, das mit einem Feuerzeug beschwert war gegen Marko Marin, zeugt von der alten Feindschaft der beiden Nordklubs, die zuweilen unsportliche Züge trägt. Aber auch davon, dass es zu diesem Zeitpunkt um den HSV nicht gut bestellt war gegen die einfallsreich verteidigenden und konternden Bremer.

Es ist eine Schande, dass die Hamburger manchmal mehr Furcht vor dem unfairen Verhalten einiger Fans aus den eigenen Reihen haben müssen, als vor dem Gegner. Im Nachhinein scheint es eine höhere Fügung gewesen zu sein, dass der Becherwurf noch vor der Pause mit dem Nullzuzwei bestraft wurde. Alles wird passieren, was man fürchtet…

Zum Niederknien

Fußballer folgen mannigfaltigen Ritualen. Manche berühren vor dem Betreten des Spielfelds noch schnell den heiligen Rasen, bekreuzigen sich und schicken ein Stoßgebet in den Himmel. Andere achten darauf, dass sie immer mit dem rechten Fuß zuerst auf das gesalbte Grün auflaufen. Wieder andere singen voller Inbrunst die Nationalhymne mit, was sie für Spitzfindige zu Patrioten macht. Oder sie verweigern prinzipiell deren Intonieren, was in weiten Teilen der deutschen Öffentlichkeit Anstoß erregt. In Spanien hat man in dieser Frage eine intelligente Lösung parat. Da die Hymne keinen Text hat, erspart man sich eine Vaterlandsdiskussion.

sport.orf.at

Der American-Footballstar Tim Tebow vollführt eine ganz spezielle Geste. Er betet. Nicht im stillen Kämmerchen sondern vor aller Augen auf dem Feld. Vor einer Begegnung oder einem wichtigen Spielzug bittet er um Gottes Beistand; setzt das rechte Knie auf den Boden, während auf dem linken, angewinkelten Bein der Arm ruht. In ganz dramatischen Momenten stützt er gar die Stirn auf die Faust und erinnert den SZ Redakteur Jürgen Schmieder an die Statue „Der Denker“ von Auguste Rodin.

Auch die amerikanische Popkultur hat das öffentliche Gebet nun entdeckt. Unter dem Namen „Tebowing“, in dem passenderweise das englische „bow“ = „sich verbeugen“, steckt, wird die Pose bis ins Unerträgliche reproduziert. Skifahrerin Lindsey Vonn, ein wahrer Ausbund an Heiterkeit, verrenkt sich vor den Kameras und meistert dabei das Kunststück, den Firmennamen der Skier in die Linsen zu lancieren. Lady Gaga muss natürlich auch mitmachen, da sie dem Zuschauer keine Atempause ihrer permanenten Präsenz geben will.

Gibt man bei Google den Begriff „Tebowing“ ein, erhält man bei den Bildern 26,4 Millionen Einträge, wobei die T-Shirts mit dem Konterfei des 24-jährigen Quarterbacks noch relativ harmlos sind im Vergleich zu dem sonstigen Wahnsinn. Man stößt auf kniende Hochzeitspaare, Partygruppen, Nacktmodels, Eltern, die ihre Kinder zu der Pose nötigen. Tebower im Büro, vor dem Fernseher, vor dem Laptop – vielleicht um den Lauf der Kugel beim Online Roulette zu beeinflussen. Menschen im Staub vor diversen Skylines, darunter auch vor dem Eiffelturm in Paris. Paris darf ja in den Vereinigten Staaten nicht fehlen, wenn man zeigen will, wie kultiviert man ist. Spätestens beim Anblick eines Pferdes, das zu dieser unnatürlichen Haltung gezwungen wird, kommt der Gedanke: Was tun sich die Amerikaner da an?

Wahrscheinlich würde auch Tebow über diese Hysterie nur verständnislos den Kopf schütteln. Er ist kein Showstar, eher ein introvertierter Typ, der nicht viel übrig hat für die Welt der Stars und Sternchen, des Glamours und der Casino Spiele.

Ein Cartoon über Mitt Romney, den aussichtsreichen Bewerber der Republikaner als Kandidat für das Präsidentenamt, führt das organisierte, inhaltsleere Hinknien zu seinem eigentlichen Kern zurück. Der Politiker, der seine Anhängerschaft eher in der Mitte hat, imitiert den strenggläubigen Footballer, was etwas einstudiert wirkt und wie ein Spagat anmutet. Die Szene wird von einem Football-Fan-Ehepaar mit den Worten kommentiert, dass Romney alles tun würde, um die christliche Rechte zu gewinnen.

„Der Denker“ von Rodin hingegen kniet nicht. Er sitzt auf einem Block – und das macht einen wesentlichen Unterschied. Diese Geste trägt nicht nur eine philosophische, sondern auch eine tiefreligiöse Bedeutung in sich. Mich erinnert das Ritual an das Mittelalter: den Ritterschlag. Die Statur Tim Tebows – er gilt mit 1,91 Metern und 105 Kilogramm als Modellathlet – und seine Football-Montur mit Schulterpolstern und Helm verweisen auf einen mittelalterlichen, gottesfürchtigen Recken.

Der Ritterschlag bedeutete bis zum 14. Jahrhundert die Initiation in die Kriegerkaste. Ein Landesherr oder König erhob den Berufskämpfer in einen elitären Stand. Teil des Rituals war es, dass der zum Ritter Erhobene niederknien musste und mit der flachen Seite des Schwerts an Schultern und Kopf berührt wurde. Wenn er sich nach diesem Prozedere wieder erhob, genoss er offiziell einen anderen Status und hatte Aussicht auf ein höfisches Leben oder auf ein Lehen, was in der agrarischen Gesellschaft die Absicherung des Lebensunterhalts bedeutete. Als Ritter blieb er zwar ein – freilich privilegierter – Diener. Dem Ideal nach hatte er in diesem Stand Gott, dem Landesherren und der Minne, der höfischen Liebe, zu dienen.

sport1.de

Ein Niederknien, das nicht als Pose berechnet war, ging nach der Halbfinal-Niederlage Deutschlands bei der Fußball-WM in Südafrika um die Welt. Bastian Schweinsteiger verharrt einen Moment lang in Ritter-Manier auf dem Rasen von Durban. Den Kopf zu Boden gesenkt kniet er mit dem rechten Bein auf dem Boden, während das linke aufgestellt ist. Es sind die Sekunden zwischen dem Am-Boden-Liegen und dem Wieder-Aufstehen, die sich durch diese Körperhaltung verräumlichen. Nach dem bitteren Nullzueins war für Deutschland und für Schweinsteiger alles vorbei, dennoch: Ein leidenschaftlicher, ambitionierter Sportler lässt sich durch eine Schlappe nicht für immer niederwerfen.

Es ist eine Ironie, dass Charles Puyol dem emotionalen Leader wieder auf die Beine hilft. Er hatte das Siegtor in die deutschen Maschen gewuchtet. Ausgerechnet die Kampfbestie Puyol.


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