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Kochen vor Wut

Gerade mal eine halbe Stunde war absolviert und ich hatte schon genug gesehen. Die Unbeholfenheit, ganz augenscheinlich vor dem Tor. Die fehlende Abstimmung zwischen den Mannschaftsteilen. Die mangelnde Stabilität, die mir so eindrücklich entgegenflimmerte, dass ich Angst haben musste, die Darbietung der Hamburger würde sich schädlich auf die Komponenten meines Fernsehers auswirken.

Das von Sportchef Frank Arnesen als „Sechspunkte-Spiel“ angepriesene Aufeinandertreffen mit Freiburg trieb mich schon nach der ersten halben Stunde aus dem Wohnzimmer in die Küche, wo ich zu kochen begann. Jetzt weiß ich, dass ich damit einem Impuls folgte, der mir im Elternhaus mitgegeben worden ist.

Als ich Kind war, verbrachten mein Vater und ich unzählige Fußballspiele gemeinsam vor dem Fernseher. Die Sportschau am Samstag gehörte zum Wochenende wie der Sauerbraten mit Spätzle und das obligatorische Baden am Sonntagabend. Wenn wir die Zusammenfassungen verfolgten, kannten wir meist schon das Ergebnis, natürlich hatten wir vorher die Bundesliga-Konferenz im Radio live auf SDR3 gehört.

Ich habe diese Abende als sehr entspannt in Erinnerung. Das Ergebnis stand fest und war selbst durch die Sportschau nicht mehr zu korrigieren. Wir konnten Siege des eigenen Vereins noch einmal in aller Ruhe auskosten. Und die deprimierende Nachricht einer Niederlage hielt sich in Grenzen, da die Beiträge nur maximal fünf Minuten dauerten.

Einen zusätzlichen Genuss bereiteten uns immer die Spieltage, in denen sich die arroganten Bayern so richtig blamierten. Die Schadenfreude wollten wir durch die gesendeten Bilder richtig auskosten. Wenn Sportschau lief, war alles schon passiert und das beruhigte uns auf unerklärliche Weise. Vielleicht liegt hierin auch ein Grund, warum ich mich sehr für Geschichte interessiere.

Weit unruhiger war die Stimmung bei live Übertragungen, besonders bei entscheidenden Spielen der deutschen Nationalmannschaft. Mein Vater war meist zu aufgewühlt, sich das Geschehen anzusehen und verzweifelte an seiner eigenen Ohnmacht. Vielleicht hätte er am liebsten seine Fußballschuhe geschnürt und sich selbst eingewechselt. Doch er war nicht Günter Netzer, auch wenn er ihn bewunderte und Puma-Schuhe hatte wie dereinst sein Lieblingsteam Mönchengladbach.

Wie ein verstörtes Tier in der Wilhelma lief er durch die Wohnung. Schaute nach dem Essen, wusch die Hände, kochte einen Kaffee, schmierte sich einen Hefezopf mit Butter und Nutella, schaute wieder nach dem Essen. Meine Mutter kommentierte dieses merkwürdige Verhalten belustigt mit einem Trockenen: „Der Pap ist nervös.“  In der Küche, wo mein Vater sich zu immer neuen Übersprungshandlungen treiben ließ,  lief dann die Radioübertragung des Spiels, was ich überhaupt nicht verstehen konnte.

Ich fand es immer weit aufreibender, Fußball im Radio zu verfolgen, da der Kommentar meist dem Spielgeschehen hinterherhechelt. Ich wollte auf der Höhe des Balls bleiben und blieb mit meiner Mutter vor dem Fernseher kleben. Ich wollte sehen, was passierte. Auch eine Niederlage musste ich mit eigenen Augen verfolgen, um mir darüber klar zu werden, dass das Desaster wirklich war.

Meine erste Erinnerung an ein Schlüsselspiel ist kein Bild, sondern ein österreichisches Kauderwelsch. Es sprudelte aus dem Radio im Schlafzimmer meiner Eltern, während mein Vater apathisch auf dem Bett saß. Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich das „I werd’ narrisch!“ gehört habe, weiß aber, dass die Stimmung danach deprimiert bis resigniert war.

Klarer erscheinen mir die Bilder vom Halbfinale von 1980 bei der EM in Italien. Es ging gegen Holland. Vor der Elftal hatte mein Vater einen Riesenrespekt, um nicht zu sagen eine Heidenangst. Wahrscheinlich fürchtete er, dass das Schicksal seinen Tribut fordern würde. Seiner Ansicht nach wurde Deutschland 1974 zu Unrecht Weltmeister, die Krone hatte dem Team von Johan Cruyff zugestanden. Nun, sechs Jahre später, verfolgte er das Spiel gegen die gar nicht mehr so übermächtigen Holländer in der Küche, um das vermeintliche Unheil (das bekanntlich ausblieb) nicht mit eigenen Augen sehen zu müssen.

Die Küche ist in unserer Familie also ein Rückzugsort gegen drohendes Unheil geworden; auch für mich war sie gegen Freiburg ein Schutzraum. Nach dem Einszunull bereitete ich eine Avocado-Salsa zu als kalte Soße zu den warmen Nudeln. Aus dem Wohnzimmer hörte ich den beschwörenden Kommentar von Torsten Kunde: Die Breisgauer würden ganz dicht vor dem Zweizunull stehen. Ich würfelte die Tomaten und Avocado, schnitt Knoblauch, hackte die Petersilie und presste eine Zitrone aus. Alles in einem Schälchen vermengen. Kräftig salzen und pfeffern, dann in den Kühlschrank stellen und ziehen lassen. Als ich die Kühlschranktür öffnete, erzielte Freiburg den zweiten Treffer.

Das Rezept hatte ich aus dem Internet und die Pasta war sehr frisch und lecker. Vielleicht sollte Thorsten Fink sich auch einmal im Internet umschauen nach einem Rezept, wie man den HSV wieder konkurrenzfähig machen kann.

Stümperfußball!

„Das ist Stümperfußball!“
Zum Glück hat es der Kommentator bei info-Radio gesagt, sonst hätte es leicht zu Missverständnissen kommen können. Das, was der HSV am Samstag gegen den 1.FC Köln auf dem Rasen gezeigt hat, war gar kein richtiger Fußball, es war Stümperfußball. Bei dieser Variante müssen die Akteure ganz spezielle Dinge beherrschen: zum Beispiel den blinden Pass ins Leere, den auf keinen Fall ein Mitspieler erreichen darf, sowie das Hin- und Herschieben des Balles in den eigenen Reihen mit anschließendem Abspielfehler. Ideen, Mut und Kampf sind auszuschalten, nicht beim Gegner sondern im eigenen Team.
So gesehen hat der HSV vollkommen überzeugt und wahrte seine Chancen auf die Stümper-Europa-Liga.

Ich habe dieses merkwürdige Schauspiel in der Küche im Radio mitverfolgt – dort dauerte es nur gut zwei Minuten. Nachdem der Reporter das Wort „Stümperfußball“ ausgesprochen hatte, gab es keine Schaltung mehr nach Hamburg. Bei info-Radio interessieren sie sich nämlich für den herkömmlichen Fußball. Besonders für die Mannschaften vom rbb: die Hertha, die gegen die „ganz in orange gekleideten Königsblauen“ spielte. Und Cottbus – gegen den VFB „auf verlorenem Posten“. Irgendwann in der zweiten Hälfte bekam Sabine Töpperwien ihren „Tor in Dortmund“-Schluckauf, der gar nicht mehr aufhörte, was ziemlich nervte. Gebt doch der Sabine das nächste Mal ein Glas Wasser, dann macht Nelson Valdez auch wieder das, was er am besten kann – daneben schießen.

Im letzten Spiel gegen Eintracht Frankfurt wird wohl auch herkömmlicher Fußball für den HSV nicht reichen. Wenn der BVB in Gladbach mit einem Tor Unterschied gewinnt, muss Hamburg 24 Mal treffen – und hinten kein Tor bekommen, dann ist der fünfte Platz sicher. Das wäre intergalaktisch – doch auch die Intergalaktischen bekommen ja gerade keinen Fuß auf den Boden (sorry).
Oder der HSV spielt einfach wieder das, was er momentan am besten kann: Stümperfußball.


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